Arme Sau - Leben und Sterben für die Mastindustrie

01.02.2014

Industrielle Schweinehaltung: der Einsatz von Hormonen ist nur ein Skandal unter vielen

Die BUND-Studie zu Hormonen in der Sauenhaltung löste kürzlich eine Welle der Empörung aus. Dabei gerät aus dem Blickfeld, dass der Einsatz von Hormonen nur ein Skandal unter vielen in der industriellen Schweinehaltung ist.

Hausschwein mit Ferkel. Foto: Scott Bauer, USDA; gemeinfrei.

Schweine sind von Natur aus bewegungsfreudig, verspielt, neugierig, lernbegierig und gesellig. In einer natürlichen Umwelt leben sie ihren Spiel- und Wühltrieb aus. Die jungen Sauen sind mit sieben bis zehn Monaten geschlechtsreif. Während der Brunst, die bis zu sechs Tage dauern kann, beschäftigen sich die Tiere ausgiebig miteinander. Sie grunzen, stoßen mit dem Kopf, verfolgen und beschnüffeln sich.

Ideale Bedingungen

Während der 115 Tage ihrer Trächtigkeit braucht die Sau vor allem Ruhe. Einige Tage vor der Geburt sucht sie sich einen trockenen, windgeschützten Platz auf. Sie gräbt eine Mulde, schleppt Äste und Zweige heran, mit denen sie das Nest sorgfältig umzäunt und sich kurz vor der Geburt darin ablegt. Die neu geborenen Ferkel werden von der Mutter ausgiebig beschnüffelt. Mit Hilfe von Stroh und rauem Material wird die Nabelschnur abgetrennt. Bis zwei Wochen nach der Geburt verbleiben die Ferkel im Nest, wo sie von der Mutter gesäugt und gewärmt werden.

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Etwa drei Monate saugen sie an ihren Zitzen. Sie spielen miteinander und lernen ihre Umgebung kennen. Allmählich entwöhnen sie sich von der Muttermilch, doch der Kontakt zur Mutter bleibt noch wochenlang bestehen. Das Schreien der Ferkel alarmiert sie, die Jungtiere reagieren auf ihre Lautäußerungen. Etwa sechs bis zehn Wochen nach der Geburt wird die Sau wieder vom Eber gedeckt.[1] Auf diese Weise kann ein Schwein problemlos zehn Jahre alt werden - sofern man es lässt.

Von einer heilen Welt wie dieser kann das Schwein von heute nur träumen

Abgeschottet von Tageslicht und frischer Luft werden die Sauen zu Tausenden in einstreulosen Buchten auf Rostböden unter Metallbügeln fixiert. In den Abferkelbuchten können sie sich weder umdrehen noch bewegen, nur aufstehen und sich hinlegen. Die Haltung in Metallkäfigen verlängert die Geburten und begünstigt die Entzündung von Gesäuge, Gebärmutter sowie Milchmangel.

Weitere Folgen sind Beinschäden und Herz-Kreislauf-Versagen. 40 Prozent aller Sauen leiden unter Fruchtbarkeitsstörungen und werden vorzeitig geschlachtet. In knapp zwei Jahren muss ein erwachsenes Tier knapp fünf Würfe erbringen. Der Nachwuchs dient der "Remontierung".

Alle Faktoren, die irgendwie von der Norm abweichen können, werden mittels Hormone gesteuert

Von Natur aus sendet der Eber bestimmte Duftstoffe aus, die bei der Sau eine von natürlichen Hormonen gesteuerten Mechanismus - die Rausche - auslösen. In einem Zuchtbetrieb übernehmen das künstliche Hormone. Schon in den DDR-Großbetrieben der 1970er Jahre wurde den Sauen Hormone gegeben, um Brunst und Ovulationssprung zu "synchronisieren". In modernen Agrarfabriken soll ein gemeinsamer Brunsttermin der Sauen Decken und Geburt der Ferkel zu einem einzigen Zeitpunkt ermöglichen.

Das ist bei einem Bestand von 10.000 Sauen natürlich arbeitstechnisch einfacher zu handhaben, als wenn tausende Sauen zu unterschiedlichsten Zeiten abferkeln. Ob Geschlechtsreife, Rausche oder Brunst - alle Faktoren, die irgendwie von der Norm abweichen können, werden mittels Hormone gesteuert. So werden die Geburten von rund 80 Prozent aller Sauen künstlich mit Hilfe von Prostaglandinen eingeleitet. Den Jungsauen werden Regumate, PMSG und Maprelin verabreicht, um Östrus, Brunst und Ovulation zu stimulieren.

Mit Hilfe von Hormonpräparaten und Analogverbindungen ist es kein Problem, die Ferkel an bestimmten Arbeitstagen, termingerecht bis auf 15 bis 20 Stunden nach der Applikation zur Welt kommen zu lassen. Bei den fünf Prozent der Sauen, die sich trotz allem mit ihrer Abferkelung verspäten, empfiehlt der Hersteller zusätzliche Oxytocin-Gaben. Wie all diese Stoffe im tierischen Stoffwechsel umgesetzt werden und welche Auswirkungen sie auf die Menschen haben, die das Fleisch der Tiere essen, dazu findet man nichts auf den Beipackzetteln von Intergonan, Ovogest, Cyclix Porcine und Regumate.

Immer mehr Ferkel in immer kürzerer Zeit

Die genetisch fruchtbaren Hybridsauen müssen ihre Wurfleistung Jahr für Jahr steigern. So wirft die moderne Zuchtsau jährlich rund 30 Ferkel. Damit noch mehr Würfe erzielt werden, lässt man die Ferkel statt sechs nur noch vier Wochen bei der Mutter saugen. Denn je schneller das zeitraubende Säugen beendet wird, umso eher wird die Sau wieder trächtig und umso mehr Ferkel kann sie gebären.

Nicht selten ist deren Anzahl höher, als die Sau mit ihren 14 Zitzen säugen kann. Zudem muss sie eine immer höhere Milchleistung erbringen, was ihren Organismus stark belastet. Sie magert ab, was wiederum ihre Fruchtbarkeit beeinträchtigt. Mit steigender Ferkelzahl pro Wurf werden auch die Jungen immer kleiner und schwächer, wodurch sie schneller auskühlen und leichter erdrückt werden können: Bei größeren Würfen sterben absolut gesehen demnach mehr Ferkel als bei kleineren. Die männlichen Ferkel werden ohne Betäubung kastriert, damit dem Fleisch später kein lästiger Ebergeruch anhaftet.

Gezüchtet, gequält, weggeworfen

Überzählige Ferkel, oder solche, die zu klein und zu schwach sind, werden gewohnheitsmäßig kurz und kräftig auf den Boden oder gegen das Metallgestänge geschleudert. Ihre Kadaver landen in einer dafür bereitgestellten Tonne. Manche Ferkel röcheln danach noch. Laut Vorschrift müssen die Tiere zwar mit einer Spritze getötet werden, doch das dauert den Mitarbeitern zu lange. Es gilt, die Arbeitszeit effizient zu nutzen und pünktlich Feierabend zu machen.

Nach vier Wochen werden die Ferkel im Aufzuchtstall auf ein Gewicht von 30 kg gemästet. Nach zwölf Wochen beginnt die eigentliche Mast, in der jedem Tier etwa ein halber Quadratmeter zur Verfügung steht. Innerhalb von drei Monaten muss es ein Gewicht von 110 kg erreichen. Ihr Leben lang saufen die Tiere Flüssigfutter aus Soja und Getreide.

Sie drängeln sich in den Buchten auf strohlosen Vollspaltenböden, ohne jegliche Rückzugsmöglichkeiten. In jeder Bucht hängt eine Eisenkette zum "Spielen". Es fehlt an Stroh oder sonstigem organischen Material, in dem die Tiere wühlen und arttypische Bedürfnisse befriedigen können. Zwar hat man den Ferkeln vorsorglich die Schwänze ohne Betäubung mit der Zange abgekniffen und die Zähne abgeschliffen. Dennoch kauen sie sich aus lauter Langeweile gegenseitig die Ohren und die kupierten Schwanzstummel ab.

Nach einem halben Jahr führt ihre letzte angstvolle Reise mit dem Transporter in den Großschlachthof. Je mehr Schweinefleisch der Mäster auf einem Quadratmeter produzieren kann, desto besser. Die Preise diktieren ihm die drei größten deutschen Schlachtunternehmen: 160 Euro kostet die Mast eines Tiere mit allen Fixkosten, der Schlachthof zahlt dem Mäster nur 150 Euro. Trotz Rationalisierung und Billigfutter ist die Schweinemast ein Verlustgeschäft - ermöglicht durch EU-Subventionen.

EU subventioniert Fleischüberschüsse

Rund ein Drittel aller Sauen stehen in Großbetrieben in Beständen mit mehr als 500 Tieren. In Ostdeutschland gibt es mindestens 300 Betriebe mit 1.500 Tieren, in einigen sind es 10.000 bis 30.000 Sauen. Der Selbstversorgungsgrad mit Schweinefleisch hat in Deutschland die 100-Prozent-Marke längst überschritten. Längst ist der Binnenmarkt mit Fleisch mehr als übersättigt. Auf der anderen Seite werden riesige Fleischmengen importiert.

Dessen ungeachtet werden mit viel Werbung Billigpreise erzeugt, mit denen sich Discounter und Supermärkte gegenseitig unterbieten. Das Preisdumping ist die Folge von Überproduktion und Subventionen, die die industrialisierte Massentierhaltung künstlich aufblasen. Rund eine Milliarde Euro pumpt die EU in Form von Ausgleichszulagen, Beihilfen und Flächensubventionen in die Agroindustrie. Zusätzlich werden 4,4 Milliarden Euro in Kühlhäuser, Lagerung und Transporte versenkt.

Ein Drittel der insgesamt rund 50 Millionen geschlachteten Schweine landen auf dem Müll. Eingeschweißt und abgepackt werden die billigen Schnitzel von Supermärkten und Privathaushalten tonnenweise weggeworfen. Mit anderen Worten: 20 Millionen Schweine werden völlig umsonst erzeugt, gequält und geschlachtet. Doch das Landwirtschaftministerium betreibt weiter seine sinnlose Subventionierungspolitik. Die Großunternehmen werden gefördert und kleinbäuerliche Betriebe aus dem Markt gedrängt.

Hormone - kein Problem?

In diesem kranken System muss die hormongesteuerte Sau immer mehr Ferkel produzieren. Die Hormone gelangen in die Umwelt und belasten schon in geringen Konzentrationen unser Trinkwasser. Östrogene führen nicht nur bei männlichen Fischen zu einer "Verweiblichung". Hormonell wirksame Substanzen können auch beim Menschen Brustkrebs sowie Hoden- und Prostatakrebs, genitale Fehlbildungen und Adipositas auslösen sowie die Spermienqualität und Fruchtbarkeit beeinträchtigen. Besonders gefährlich für Kinder und Jugendliche ist der Cocktaileffekt: ein Mix aus hormonell wirkenden Parabenen und anderen Substanzen wie Phthalaten, Bisphenol, Nonylphenol, Schwermetallen und Pestiziden.

Das Umweltbundesamt sieht darin nur ein geringes, der Deutsche Bauernverband überhaupt kein Problem: Hormone würden nur aus "medizinischen Gründen" verabreicht, in kurzer Zeit abgebaut und stellten keinerlei Gefahr für Mensch und Umwelt dar.

Allein der BUND fordert ein Hormonverbot für gesunde Schweine. Betroffen sind insgesamt 26 umstrittene Präparate. Ohne Hormon-Doping würden vielleicht weniger Tiere gemästet, weniger Fleisch produziert und etliche Schweinezüchter möglicherweise in den Ruin getrieben. Für den Verbraucher aber ist der Konsum von weniger und unbelastetem Fleisch allemal gesünder.

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