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Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Einführung der tierschutz- rechtlichen Verbandsklage in Niedersachsen

 

Stellungnahme des PAKT e.V. anlässlich der Anhörung im Landtag am 3. Februar 2006

 

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung heißt es im Abschnitt 8.6.: „Der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz ist für uns Verpflichtung und Leitfaden für eine aktive Tierschutzpolitik.“

Verpflichtung des Staatsziels bedeutet in erster Linie Auftrag an den Gesetzgeber (wie gerichtlich seit 2002 mehrfach festgestellt). Und zwar geht es um einen verpflichtenden Auftrag.

Angesichts der bisherigen Folgenlosigkeit der Staatszielbestimmung ist hier im Landtag Gelegenheit, mit dem Verbandsklagerecht in der proklamierten „aktiven Tierschutzpolitik“ weiterzukommen.

Das Staatsziel Tierschutz bedeutet, dass der Tierschutz in unserer Normenordnung theoretisch-abstrakt hoch angesiedelt ist. Aber es gibt keine effektive Möglichkeit, über die Gerichte recht- mäßige Zustände in der Tierhaltung einzufordern, obgleich Millionen Tiere, sogenannte „Nutztiere“, unter artwidrigen, oft quälerischen Umständen gesetzwidrig gehalten werden.

Angesichts der seit der Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel ins Grundgesetz 2002 ausstehenden Novellierungen und Verordnungen, um dieses Staatsziel auszufüllen und umzusetzen, angesichts beispielsweise der fehlenden Verordnungen für die Heimtierhaltung, für Mastkaninchen, Mastenten, Masthühner und Puten, für das Verbot der Wildtierhaltung in Zirkussen, der seit Jahren verschlepp- ten Novellierung der Schlacht-Verordnung, angesichts der Vollzugsdefizite im Tierschutzrecht (z.B. Nicht-Beachtung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Hennenhaltung), angesichts des zunehmenden ökonomischen Drucks auf die Tierschutzpolitik sowie der weitgehenden Nichtbe- achtung des Staatsziels in der Rechtssprechung der Gerichte wird die Herstellung der Rechtsstaat- lichkeit auf dem Gebiet des Schutzes unserer Mitgeschöpfe immer dringender.

Ohne ein Klagerecht für die anerkannten Tierschutzorganisationen gibt es diese Rechtsstaatlichkeit jedoch nicht. Gesetze und Verordnungen sind immer nur so effektiv, wie eine gerichtliche Durchsetz- barkeit gewährleistet ist. 

Aktuell sind z.B. neue, riesig dimensionierte Schweinemastanlagen mit den geringstmöglichen EU-Vorgaben in der Planung. 19 Millionen Moschusenten werden unter Verletzung der Rechtsstaat- lichkeit ohne Haltungsverordnung gehalten. Weder die Europaratsempfehlung noch das Tierschutz- gesetz werden angewendet, die Tiere sind erheblichen Leiden ausgesetzt. Beispiele dieser Art gibt es nur allzu viele.

 

Nur soweit es um die Bestrafung individueller Tierquäler geht und für die Quälerei kein „vernünf- tiger Grund“ vorliegt, sind die Gerichte mit Tierschutzsachen befasst, soweit die Verfahren nicht von vornherein wegen angeblichen „mangelnden öffentlichen Interesses“ eingestellt werden, was auf über 90 % der Anzeigen zutrifft. Doch obwohl die Tiere seit dem 20.8.1990 nicht mehr den Status von „Sachen“ haben (§ 90a BGB), wird auch die übelste, sadistische Tierquälerei nicht härter bestraft als das Beschmieren von Hauswänden.

Das Instrument der Strafanzeige ist unzureichend, weil es nur beim kriminellen Verhalten von Einzeltätern genutzt werden kann. Das Tierschutzgesetz ist derjenige Rechtsbereich, in dem mit Abstand die meisten Verfahren eingestellt werden und der Strafrahmen am wenigsten ausgeschöpft wird.

In einer wissenschaftlichen Arbeit der Tierärztin Dr. med. vet. Petra Sidhom wurde nachgewiesen, dass von deutschen Gerichten bei Tierschutzvergehen der Strafrahmen sowohl im Bereich der Frei- heitsstrafen als auch im Bereich der Geldstrafen nur sehr mangelhaft ausgeschöpft wird. Bei 94,6 % der Fälle gab es Freisprüche, Einstellungen oder das Absehen von Strafe.

 

Aber auch wenn tierschutzrechtliche Bestimmungen uneingeschränkt gelten, scheitert oft ihre praktische Anwendung. Dies liegt letztlich daran, dass unsere Mitgeschöpfe in ihrer Wehrlosigkeit die Einhaltung der Normen, die sie schützen sollen, nicht einfordern oder gar einklagen können. Staatlichen Stellen, die für die Überwachung der einschlägigen Gesetze verantwortlich sind, fehlt es häufig an den notwendigen personellen und finanziellen Möglichkeiten. Menschen können gegen sie belastende Behördenentscheidungen auf gerichtlichem Weg vorgehen, Tiere aber nicht.

Das Problem ist: Wo kein Kläger ist, bleiben Verstöße gegen das Tierschutzgesetz und anderes Tierschutzrecht unsanktioniert, wenn die personell und finanziell schlecht ausgestatteten Behörden das Tierschutzgesetz und die Verordnungen nicht vollziehen. Soll das Staatsziel Tierschutz keine verbale Luftblase bleiben, muss die Mitwirkungs- und Klagemöglichkeit anerkannter Tierschutzver- bände eingeführt werden – im Interesse der Gewährleistung der artgemäßen Lebensbedingungen der Tiere.

 

„Von Tierschutzorganisationen wird allgemein erwartet, dass sie neben ihren traditionellen Tätig-keiten auch Verantwortung für die Durchsetzung der Tierschutzgesetzgebung und die rechtliche Vertretung tierlicher Anliegen übernehmen. Wirksam tun können sie dies jedoch nur, wenn ihnen hierfür geeignete Rechtsinstrumente – namentlich die Möglichkeit, sich beim Gesetzesvollzug als vollberechtigte Partei in die entsprechenden Verfahren einzuschalten – zugestanden werden, d.h. wenn ihnen die Rechtsordnung die Vertretung tierlicher Interessen explizit aufträgt oder zumindest gestattet. Diese Befugnis bleibt Tierschutzorganisationen bislang jedoch verwehrt. … Letztlich er- schwert die Tatsache, dass Vertretern tierlicher Interessen die Mitwirkung in straf- und verwal- tungsrechtlichen Verfahren und der entsprechende Instanzenzug versagt bleiben, über Fragen grundsätzlicher Bedeutung wegleitende Präjudizien in Form höchstrichterlicher Urteile zu erwir- ken.“ (A. Goetschel/G. Bolliger, Das Tier im Recht, Orell Füssli, 2003, S. 223 f.)

 

Verfassungsrechtlich ergibt sich die Notwendigkeit des Verbandsklagerechts auch aus dem Prinzip der Gewaltenteilung, Gewaltenhemmung und Gewaltenkontrolle. Die Gewaltenteilung per Kontrolle durch anerkannte Verbände muss sein, weil die Exekutiven (z.B. Ordnungsämter bei den Zoo-Geschäften, Gewerbeaufsicht bei den Speditionen der Tiertransporte und der Veterinärämter) oft versagen.

 

Gegen vermeintlich „zuviel“ Tierschutz kann immer vor den Verwaltungsgerichten geklagt werden (oder auch durch Berufung oder Revision auch in Strafsachen): Forscher wegen Forschungsfreiheit, „fromme“ Schächter, Agrarleute gegen Auflagen, Züchter gegen Auflagen und Verbote usw. Gegen zuwenig Tierschutz dagegen kann nicht geklagt werden.

Das Verbandsklagerecht, so, wie es der obengenannte Gesetzentwurf vorsieht, würde eine Anwalts- funktion für die Tiere ermöglichen. Mit dem Klagerecht könnten sich die dafür legitimierten Organi- sationen bei Verstößen gegen Strafnormen ihres Rechtsbereichs in eigenem Namen und im Interesse der Allgemeinheit stellvertretend für die Geschädigten am Strafverfahren beteiligen oder als Privat- kläger ein solches einleiten und daran als Partei teilnehmen. Eine Rechtmäßigkeitskontrolle im Be- reich des Tierschutzes wäre ermöglicht, was um so dringender ist, weil individuelle Klagemöglich- keiten oder ein Prozess-Erzwingungsrecht zugunsten von Tieren fehlen.

 

Das Verbandsklagerecht würde zum dringend erforderlichen Abbau von Vollzugsdefiziten beitragen, die Verwaltungen zu einem umsichtigeren Umgang mit der Ausführung des Tierschutzrechts veran- lassen und zu einer sorgfältigeren Vorbereitung und Begründung ihrer Entscheidungen motivieren.

Die durch Verbandsklage ausgelöste gerichtliche Kontrollmöglichkeit würde die Weisungsabhängig- keit der Veterinärämter zugunsten des Tierschutzes vermindern und die Veterinäre entlasten. Bei den Tiernutzern würde sich die Verbandsklage vorbeugend auf eine bessere Einhaltung der Tier- schutzbestimmungen auswirken

 

In einem Schreiben der SPD-Landtagsfraktion Thüringen vom 28.7.2004 an PAKT heißt es u.a.:

„Wie die Erfahrungen mit dem Verbandsklagerecht der Naturschutzverbände zeigen, hat dies in der Regel nicht dazu geführt, dass Klagen gegen bestimmte behördliche Entscheidungen drastisch zuge- nommen haben. Vielmehr ist ein verstärktes Bemühen zuständiger Stellen zu erkennen, die von den Verbänden vertretenen und zudem rechtlich geschützten Belange angemessen zu berücksichtigen, um eine Klage nicht zu provozieren. Dies kann unserer Auffassung nach auch bei den Belangen des Tierschutzes der Fall sein.“

 

Die Einsprüche der Vertreter der tierexperimentellen Forschung wegen befürchteter Einschränkung dieser Forschung bestätigen nur, dass das Recht der Tiere auf artgemäße Haltung und Behandlung in den Forschungslaboren nicht gegeben ist. Das Klagerecht bezieht sich aber lediglich auf die Einhal- tung des § 2 des Tierschutzgesetzes, wonach die gehaltenen Tiere ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechend angemessen ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht werden müssen und die Möglichkeiten der Tiere zu artgemäßer Bewegung nicht so eingeschränkt werden dürfen, dass ihnen Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden.

Die Tierversuche würden bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften durch das Verbandsklage- recht nicht abgeschafft, aber die Bedingungen, unter denen sie stattfinden, müssen überprüfbar und gegebenenfalls veränderbar sein.

 

Selbst im Wettbewerbsrecht gibt es ein Verbandsklagerecht für Verbraucherschutzvereine (§ 3 des Unterlassungsklagengesetzes; § 13 Abs. 2 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb).

 

Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags hat in seiner Begründung der Ablehnung einer auf die Einführung des Verbandsklagrechts für anerkannte Tierschutzorganisationen gerichteten Petition am 10.05.2005 geantwortet: „Der Petitionsausschuss vertritt die Auffassung, dass nach der Bestimmung des Tierschutzes als Staatsziel nun die Auswirkungen dieser Staatszielbestimmung auf den Tierschutz bei der Auslegung und Anwendung des Tierschutzrechts durch die zuständigen Behörden und Gerichte abgewartet werden sollen.“ (Pet 3-15-10-787-022597).

 

Nachdem inzwischen sechs Jahre seit der Einführung der Staatszielbestimmung vergangen sind, ohne dass sich spürbare positive Folgen bezüglich der Verbesserung des Tierschutzrechts und seines Vollzugs ergeben haben, dürfte diese Begründung der Ablehnung hinfällig geworden sein.

 

Zusammenfassend: Das Staatsziel Tierschutz würde auf der Verfahrensebene effizient. Die durch das Fehlen individueller Klagemöglichkeiten bestehende Rechtslücke würde geschlossen. Das öffentliche Bewusstsein für Tierrechte würde gestärkt.

Es gibt nur Gründe zugunsten des Schutzes unserer Mitgeschöpfe. Die bisherigen Symposien und Ta- gungen zu diesem Thema 2003 in Kiel, 2004 in Bad Boll und 2005 in Berlin haben dies bereits über- zeugend deutlich gemacht.

Bei der Entscheidung für oder gegen die Verbandsklage geht es um die Frage, ob sie zu mehr oder zu weniger Tierleid führt. Die Entscheidung liegt auf der Hand!

 

Der Politische Arbeitskreis für Tierrechte in Europa – PAKT e.V. begrüßt daher die Gesetzesinitiative der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nachdrücklich und ohne Einschränkung.

 

Februar 2006

Dipl.-Pol. Edgar Guhde

Vors. PAKT e.V.

 

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