Anmerkungen und Forderungen zum gegenwärtigen Stand der Agrarwende
Getanes und Versäumtes
Gut zwei Jahre sind die im Anschluß an eine Fachtagung in Bonn entwickelten Agrarpolitischen Leitlinien des PAKT e.V. nun alt, knapp zwei Jahre die mit dem Amtsantritt Renate Künasts im Januar 2001 angesetzte neue Agrarpolitik. Zweifellos vieles hat sich seitdem getan, die Einleitung eines Paradigmenwechsels in der Förder- und Verordnungslandschaft ist unverkennbar. Zu nennen sind an dieser Stelle beispielhaft etwa die besondere Förderung des Öko-Landbaus, die Einführung eines Öko-Siegels, die Bindung der Tierprämien an die den Betrieben zur Verfügung stehende Futterfläche oder, aus Tierschutzsicht, die Extensivierungsprämie, die Legehennenverordnung sowie die obligatorische Zulassung von Haltungssystemen.
Weitere zentrale Bausteine einer Agrarwende sollen 2003 hinzukommen, so die Abschaffung des sog. Außenbauprivilegs der Landwirtschaft, das bisher durch § 35 BauGB garantiert wird. Unverständlich erscheint in diesem Zusammenhang, daß bei der im Juli 2001 erfolgten Einführung der Genehmigungspflicht für Stallbauten entsprechend BImSchG und UVP eine Ãœbergangsfrist bis Ende Oktober 2007 (!) eingeräumt wurde. Das Ergebnis ist eine deutliche Zunahme aktueller Anträge auf Großanlagen, die nicht nur kaltschnäuzig Fakten schaffen wollen, sondern am Ende obendrein noch Bestandsschutz werden einzuklagen versuchen.
Ebenfalls für 2003 geplant ist die Einführung der Modulation, die am 14. Dezember 2001 vom Deutschen Bundestag beschlossen wurde. Ihr, d.h. der Umwandlung der Direktzahlungen (z. B. Tierprämien) in Leistungen der "Zweiten Säule", kommt in der Modulation des gesamten Agrarwende-Prozesses selbstredend die größte Bedeutung zu, da hiermit der Kern der bisherigen Produktionsförderung berührt und angegriffen wird. Zu fordern ist daher in diesem Kontext die vollständige Nutzung des von der Agenda 2000 vorgegebenen Spielraums von 20 %. Abzulehnen ist daher auch der jüngst unternommene Versuch des Bundesrats, den Start der Modulation auf 2004 zu verschieben.
Der System„fehler“ des Zwei-Landwirtschaften-Modells
Ein weiterer wichtiger Aspekt kommt hier ins Spiel, den ein Vergleich mit der ökologischen Mineralölbesteuerung verdeutlichen kann. Wie bei der Agenda handelt es sich auch bei dieser um ein wirtschaftspolitisches Lenkungsinstrument, mit welchem einem umweltgefährdenden Ressourcenverbrauch Einhalt geboten werden soll. Beide sollen über einen Zeitraum von mehreren Jahren verstetigt werden, nicht zuletzt um die Betroffenen an den so vollzogenen Paradigmenwechsel zu gewöhnen.
Der Unterschied zwischen ökologischer Mineralölsteuer und Modulation liegt freilich darin, daß es sich bei ersterer um eine Verbrauchssteuer und bei letzterer um eine Umschichtung innerhalb der Subventionspolitik, d.h. der Produktionsförderung handelt. Der Verbraucher, und hierin liegt der für eine Agrarwende schwerwiegende akzeptanzpolitische Unterschied, finanziert als Steuer- und Beitragszahler, auch wenn er Produkte aus der Biolandwirtschaft kauft, nach wie vor einen Haushalt, der, betrachtet man die verbleibenden Direktzahlungen, Investitionszulagen und Exportsubventionen, nicht minder als der von ihm favorisierten der konventionellen Landwirtschaft zugutekommt. Anders gesagt, er zahlt für die von ihm gekauften, umweltverträglich hergestellten Produkte doppelt, und eben dieser Zusammenhang ist es, welcher in den Augen oft selbst eingefleischter Bio-Fans Bioprodukte ärgerlich teuer erscheinen läßt.
Die Preisdifferenz zwischen ihnen und Produkten aus der konventionellen Landwirtschaft besteht im wesentlichen darin, daß der tatsächliche Preis der letzteren gesamtwirtschaftlich - weit über die Grenzen der Förderpolitik hinaus - verschleiert wird. Würde er, über entsprechend reduzierte Subventionen bzw. einen entsprechend höheren Marktpreis, die von konventioneller Landwirtschaft verursachten Umwelt-, Gesundheits- und volkswirtschaftlichen Schäden reflektieren, verschwände zweifellos ein Großteil des Preisvorteils herkömmlich erzeugter Agrarprodukte. Zugleich verschwände so in letzter Instanz natürlich der Systemunterschied ökologischer und konventioneller Landwirtschaft als solcher.
Ökologische Landwirtschaft befindet sich damit im System einer Koexistenz mit konventioneller Landwirtschaft per se im Nachteil. Solche "Ungerechtigkeit" freilich ergibt sich, gleichsam als Last aus der Geschichte, realpolitisch aus dem Erfordernis, Änderungen gesellschaftspolitischer Weichenstellungen unter Wahrung von Fristen vorzunehmen, um so den sozialen Frieden zu erhalten. Geboten indes erscheint, statt die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen herunterzuspielen, sie politisch offenzulegen und das politische Ziel zugleich offen auszusprechen. Dieses kann, anders als der offizielle Tenor einer 20-Prozent-Nische der Bundesregierung, nur lauten, die gesamte Landwirtschaft so zu gestalten, daß Ackerbau und Viehzucht, ob mit oder ohne staatliche Unterstützung, nicht auf dem Rücken von Mensch, Tier und Umwelt betrieben werden.1
Angst vor der eigenen Courage?
Zu beklagen ist an dieser Stelle nach wie vor der Wahl - und noch immer nicht lange nach BSE und MKS - eine frappierende Abwesenheit der begonnenen Agrarreform in der politischen Debatte. Richtig betrachtet, bedeutet sie zweifellos eines der größten, wichtigsten und unangefochtensten Reformprojekte der rot-grünen Regierung. Und doch taucht es in kaum einer erstrangigen Bilanz der sozial-ökologischen Reformbemühungen der Regierung auf. Statt dessen werden einseitig etwa der Atomausstieg und die Förderung alternativer Energieträger angeführt, obwohl diese sowohl unter ökologischem als auch volkswirtschaftlichem Gesichtspunkt kaum gravierender, gewiß aber nicht weniger unumstritten sind.
Indem das Thema Agrarwende heute weitgehend aus der politischen Diskussion herausgehalten wird, wird mit der politischen Aufmerksamkeit zugleich die größte, kostenlose Werbefläche für eine neue Agrarpolitik ungenutzt gelassen. Zugleich wird so den alten Seilschaften innerhalb der Grünen Front ermöglicht, allmählich wieder die Oberhand zu gewinnen oder zumindest die von der Bevölkerungsmehrheit unterstützten Reformen zu behindern.2
Internationale Vorgaben nutzen
Noch unverständlicher wird oben beschriebene Defensivhaltung, wenn man bedenkt, wie sehr die begonnene deutsche Agrarwende-Politik von internationalen Rahmenvorgaben wenn nicht erzwungen wird, so diesen doch immerhin entgegenkommt. Mit der Agenda 2000, als der aktuellen Fassung ihrer Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), gibt die Europäische Union dabei wichtige Instrumente zum Abbau und zur Umwidmung der Produktionsförderung vor, die durch den Fischler-Plan vom Sommer 2001 weiterentwickelt werden. Beide Programme folgen ihrerseits nicht nur den finanziellen Zwängen im Zuge der EU-Osterweiterung, sondern darüber hinaus auch den Anforderungen der WTO.
Politisch längst erkannt wurde, daß eine Agrarpolitik, deren Förderung primär Tieren und Flächen gilt, in einem größeren Europa agrarisch geprägter, beitragsschwacher Neumitglieder nicht mehr zu bezahlen ist. In diesem Sinne hat denn auch Bundeskanzler Schröder jüngst beim Brüsseler Gipfel der auch im Fischler-Plan implizierten, auch von reicheren Agrarstaaten wie Frankreich geforderten Beibehaltung der Nettomittel nur unter der Bedingung zugestimmt, daß diese auf dem bestehenden Niveau eingefroren und nach neuen Kriterien verteilt werden. Letzteres, die Ausdehnung der Agrarwende, wie sie in Deutschland eingeleitet wurde, auf Europa, kommt schließlich auch WTO-Forderungen nach einem generellen Abbau wettbewerbsverzerrender Subventionen entgegen.
Zu bedenken bleibt in diesem Zusammenhang jedoch, daß auch Subventionsmaßnahmen im Rahmen von Agrarumweltprogrammen lediglich WTO-konform sind, sofern sie dem Ausgleich entsprechender Lasten dienen, nicht umgekehrt als Anreize zu einer ökologischen Landwirtschaftsproduktion. Abermals kehrt hier, in veränderter Gestalt, oben geäußerte Kritik einer Zwei-Klassen-Landwirtschaft wieder, nunmehr unter welthandelslogischen Prämissen.
Plädoyer für eine einheitliche, differenzierte Flächenprämie
So radikal daher einerseits der Abbau jeglicher Produktionsanreize gefordert wird, so sehr würde andererseits die Aufhebung jeglicher Subventionen die in den letzten Jahrzehnten extremer Produktionsförderung gewachsenen, ungleichen Strukturen festschreiben. Ergebnis wäre aller Voraussicht nach ein weiter voranschreitender Konzentrationsprozeß, dem insbesondere auf nationaler Ebene auch die letzten kleinbäuerlichen Betriebe zum Opfer fielen. Geboten ist daher in Anbetracht aller internationalen wie nationalen Rahmenbedingungen eine Förderpolitik, welche die unterschiedlichen Produktionsweisen auf extensiver Basis einander annähert und nivelliert und die dabei ohne Bezug zur Produktivität zugleich handelspolitisch neutral bleibt.
Was wie die Quadratur des Kreises wirkt, haben Fachleute alternativer Verbände bereits als Lösung entworfen. In ihrer gemeinsamen Erklärung "Auf dem Weg zu einer neuen Agrarpolitik in der Europäischen Union" vom Okbober 2001 fordern Organisationen aus Umwelt- und Naturschutz, Landwirtschaft, Tierschutz und Verbraucherschutz die Einführung einer einheitlichen Grundprämie für alle nachhaltig bewirtschafteten Flächen. Eine solche einheitliche Flächenprämie, als Ersatz des gegenwärtigen Systems von Tierprämien und Flächenzahlungen, wäre handelspolitisch neutral und kann zugleich entsprechend den Vorgaben einer Extensivierungspolitik ausgestaltet werden. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang eine Matrix ökologischer, sozialer und regionaler Kriterien, aus deren Kombination sich für jeden Betrieb eine individuelle Prämie ergäbe.
Weidegang als unverzichtbarer Bestandteil nachhaltiger Landwirtschaft
Aus Tierschutzsicht ist zu fordern, daß Weideflächen ein ungleich höheres Fördergewicht als bisher erhalten und zentrales Kriterium nachhaltiger Flächenbewirtschaftung werden müssen. Die gegenwärtige Regelung, wonach Weidegang lediglich im Zusammenhang einer zusätzlich gewährten Extensivierungsprämie (max. 1,4 GVE/ha) eine Rolle spielt, ist inakzeptabel. Sie entspricht einem sehr beschränkten Begriff umwelt- und tiergerechter Landwirtschaft, in welchem freilich die reale Erfahrung intensiver Stallhaltung der Tiere in den letzten Jahrzehnten weiterwirkt.
So sehr ländliche Räume ohne weidende Tiere dem aktuellen Bild konventioneller Landwirtschaft entsprechen, so eindeutig kann umgekehrt gerade an ihnen das Gelingen einer wirklichen Agrarwende festgemacht werden. Während der Streit um verbesserte Haltungsbedingungen, wie wichtig er für das Wohlergehen der Tiere auch sein mag, in letzter Konsequenz nur das Symptom einer in ihrem Wesen kranken Landwirtschaft und Gesellschaft darstellt, werden Tiere andererseits, nur wo sie frei auf natürlichem Gelände und unter freiem Himmel gehalten werden, als Mitgeschöpfe anerkannt, denen, wie Ankündigungen zur Agrarwende proklamierten, eine eigene Würde zukommt.
Dem ethischen entspricht zwangsläufig das ökologische Argument, denn Landwirtschaft zurück auf die Füße zu stellen kann nur heißen, sie an die Tragkraft der tragenden Erde zu binden. Nachhaltige Landwirtschaft kann nicht anders denn als Kreislaufwirtschaft verstanden werden. Als solche findet sie im Falle der Tierhaltung am Erhalt der natürlichen Bodenbeschaffenheit ihre Grenze. Spitzfindige Nährstoffbilanzen oder die gegenwärtig als Lösung anvisierte neue Funktion des Landwirts als Mist verbrennender "Energiewirt" sind demgegenüber ebenfalls deutlich als Folgephänomene der bisherigen, ausschließlich an "Produktion" orientierten Agrarindustrie zu identifizieren. Deren Irrtum bestand darin, den Rückzug der Tiere aus der Fläche mit der (vermeintlichen) Unabhängigkeit vom Boden zu verwechseln.
Ein gesellschaftlicher Bewußtseinswandel steht noch aus
Die hier geforderte Extensivierung der Tierhaltung dürfte zu einer Verknappung des Angebots auf dem deutschen Fleischmarkt führen. Um diese nicht durch Importe von Billigfleisch aus dem Ausland auszugleichen und damit die heimische Landwirtschaft zu schädigen, sind wirksame Außenschutzmaßnahmen nötig. Anzustreben ist mindestens eine Kennzeichnungspflicht hinsichtlich der Haltungsbedingungen, wie sie ab 2004 bereits für Eier gilt. Den Vorgaben des Koalitionsvertrages folgend, muß sich Deutschland diesbezüglich, zugleich mit der Abschaffung von Exportsubventionen, für eine europa- und schließlich weltweite Festschreibung entsprechender Standards zur Tierhaltung einsetzen, zumal es sich bei seinem sozial-ökologischen um ein globales Anliegen handelt.
Die Ausgangslage zu einer gemeinsamen europäischen Kennzeichnungsregelung scheint angesichts der oben erwähnten, in Brüssel erzielten grundsätzlichen Einigung über die zukünftige Verwendung der Haushaltsmittel günstig. Kernpunkt und Ziel muß wie im Falle der Legehennen eine klare Erkennbarkeit der Lebensbedingungen der Tiere sein, wobei Freiland- bzw. Weidehaltung erst recht zentrales Kriterium einer um Extensivierung bemühten Agrarpolitik sein müssen. Irreführende Markennamen und Bilder auf den Verpackungen hingegen sind im Zeichen des im Koalitionsvertrag beschlossenen "Täuschungsschutzes" zu verbieten.
Dies vorausgesetzt, ist im Zuge einer Deckelung der Agrarausgaben sowie der Extensivierung der Tierhaltung zwar eine Verteuerung von Fleisch und Fleischprodukten zu erwarten. Dieser jedoch stehen nicht nur oben erwähnte, anders nicht zu erreichende Umweltschutz- und Arbeitsplatzeffekte gegenüber. Vielmehr werden steigende Fleischpreise zu jener neuen Wertschätzung der Lebensmittel und zu einer Steigerung der Gesundheit der Bevölkerung führen, welche laut Koalitionsvertrag Ziel der Regierung sind.3 Konkret dürften sie sich in einem bewußteren, weniger häufigen Fleischkonsum niederschlagen, wie er längst quer durch die Reihen aller Ernährungsexperten gefordert wird. In Anbetracht dessen, daß durch tierische Proteine verursachte Herz-, Kreislauf- und sonstige Erkrankungen (z. B. erhöhtes Darmkrebsrisiko) heute nachweislich zu den Hauptbelastungen unseres Gesundheitssystems zählen, dürften die gesundheitlichen und gesundheitspolitischen Effekte erheblich sein. Entsprechende Einsparungen im Gesundheitsbereich sollten Staat und Bürger spürbar entlasten und der reduzierte Fleischverzehr für diesen zu einer Steigerung seines Wohlbefindens und der Lebensfreude führen.
1 Unverständlich erscheint vor diesem Hintergrund, daß die Bundesregierung es laut Koalitionsvertrag dabei belassen will, hinsichtlich der Grünen Gentechnik "Wahlfreiheit herzustellen". Trotz gegenteiliger Beweise aus der Vergangenheit huldigt sie dabei, konträr nicht nur zum Leitbild einer nachhaltigen Landwirtschaft, der Illusion einer durch verbessertes "Monitoring" zu erzielenden "Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung" und nimmt so, in krassem Widerspruch zu ihrer in der Atomenergie-Debatte vertretenen Position, eine unkontrollierbare Manipulation der natürlichen Arten in Kauf. Weder Grüne noch Rote Gentechnik können, nüchtern betrachtet, als nachhaltig betrachtet werden.
2 Zu fordern bleibt in diesem Zusammenhang, über eine politische Auseinandersetzung hinaus, die strikte Prüfung aufsichts- und gesellschaftsrechtlicher Möglichkeiten zur Entfilzung des Geflechts nachweisbarer Abhängigkeiten im Bereich landwirtschaftlicher Verwaltung, Interessenvertretung und des Auftragswesens.
3 Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: "Grundsätzlich wollen wir mit allen gesellschaftlichen Gruppen dazu beitragen, die Wertschätzung der "Mittel zum Leben" in ihrer zentralen Bedeutung für Gesundheit und Lebensfreude wieder zu erhöhen."
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Christoph Fink