Stellungnahme zur Neufassung der Zirkusleitlinien
Trotz der andauernden Probleme der Tiernutzung in Zirkusbetrieben gibt es in Deutschland nach wie vor keine Rechtsverordnung, die Haltung und Ausbildung der Tiere regelt, geschweige denn ein Verbot der Wildtiere in Zirkussen, wie es z.B. seit 2005 im österreichischen Tierschutzgesetz festgelegt ist. Denn besonders Wildtiere können unter Zirkusbedingungen nicht art-, rasse- und verhaltensgerecht gehalten werden.
Im Jahr 2000 legte eine Sachverständigengruppe den Entwurf einer Neufassung der 1990 herausgekommenen Leitlinien vor, der dann vom zuständigen Bundesministerium unverändert 2001 unter dem obengenannten Titel herausgegeben wurde und den Zirkusunternehmen selbst sowie den Überwachungsbehörden als Entscheidungshilfe an die Hand gegeben wurde, als „Leitlinie“ allerdings nicht rechtsverbindlich ist
Der Entwurf wurde von PAKT e.V. sofort einer detaillierten Kritik unterzogen, auch, weil er sich als Statusverteidigung einiger weniger großer Zirkusse versteht, ohne dass die Vollzugserfahrungen mit 97 % der Klein- und Bettelzirkusse eingehen.
Vorbemerkung:
Angesichts der Tatsache, daß der Text dieses Entwurfes in wesentlichen Teilen bereits seit ca. einem Jahr vorliegt und das BMI den Tierschutzorganisationen eine Zwischeninformation und Stellungnahme vor Abschluß der endgültigen Fassung zugesagt hatte, aber diese Zusage nicht eingehalten hat, empfinden wir die Zeit von drei Wochen für die Vorbereitung einer Stellungnahme zu einem so umfänglichen Text als Zumutung und Akt der Geringschätzung gegenüber der Tierschutzbewegung und protestieren hiergegen ausdrücklich.
Die darin zum Ausdruck kommende Haltung des BML gegenüber den Tierschützern gewinnt zudem ihr Negativprofil noch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Berufung der Sachverständigengruppe durch das Ministerium sowohl formal wie inhaltlich entweder von einem deutlichen Mangel an Sachverstand oder von einem tierschutzfremden Interesse gekennzeichnet war, den oder das zu beheben das Ministerium trotz mehrfacher Proteste seitens der Tierschützer nicht bereit gewesen ist. Für Einzelheiten dieses Vorwurfes beziehen wir uns auf den Schriftwechsel, den der Deutsche Tierschutzbund, die Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkus und der Politische Arbeitskreis für Tierrechte in Europa (PAKT) e.V. mit dem Ministerium geführt haben. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß die sogenannte Sachverständigengruppe bei einer Besetzung mit neun Personen lediglich einen Tierschutzvertreter enthielt und der von Tierschutzseite gewünschte und vom Ministerium gewährte und ermöglichte Gedankenaustausch mit der sogen. Sachverständigengruppe von dieser verweigert worden ist. Zu einem ins Ministerium eingeladenen Gesprächstermin ist der Vertreter der Gruppe ohne Angabe von Gründen nicht erschienen.
Stellungnahme zu dem vorliegenden Entwurf
I. „Rechtliche Grundlagen“
Die Erfahrungen der zurückliegenden Jahre seit Vorliegen der ersten Fassung der Zirkusleitlinien von 1990 haben gezeigt, daß der Text bei den Zirkusunternehmen in der großen Mehrzahl unbekannt oder unbeachtet war, was bei dem Analphabetismus zahlreicher Zirkusunternehmer nicht verwunderlich ist. Die Hoffnung, daß dies bei einer auf 39 Seiten erweiterten Neufassung der Leitlinien besser werden könnte, kann es nicht geben. Der Text des neuen Entwurfes berücksichtigt das Problem der inhaltlichen Vermittlung und Kenntnisnahme der Leitlinien nicht. Der von den Leitlinien betroffene Personenkreis wird weder ausdrücklich noch indirekt zur Kenntnis der Leitlinien verpflichtet. Wenn in der AVV vom 9.2.2000 unter Nr.12.2.2.3 die "Kenntnis der einschlägigen tierschutzrechtlichen Bestimmungen" für die Prüfung gemäß § 11 (2) 1 TSchG gefordert wird, so fallen die Zirkusleitlinien nicht darunter! Es ist daher von allem Anfang an verfehlt zu glauben, durch die Aufblähung der Zirkusleitlinien von 11 auf 39 Seiten werde für den Schutz der Tiere unter der Verantwortung von Zirkusbetrieben etwas Positives geleistet.
Weiterhin muß festgestellt werden, daß schon in der Vergangenheit die Zirkusleitlinien von 1990 für den Gesetzesvollzug des TierSchG kaum oder doch nur in einem verschwindend geringen Maße eine Rolle gespielt haben. In den wenigen Fällen, in denen - wie wir feststellen konnten - die kontrollierenden Amtsveterinäre die Zirkusleitlinien inhaltlich gegenwärtig hatten, waren die Beamten nur selten bereit, den Tierhaltern im Zirkus eine Einhaltung dieser Bestimmungen vorzuschreiben. Diese Tendenz kann angesichts des Umfanges der Neufassung nur zunehmen und damit die Irrelevanz der Zirkusleitlinien für den Gesetzesvollzug nur einen noch höheren Grad erreichen!
Während die Durchsetzung der unter >I. Rechtliche Grundlagen< genannten Erfordernisse nach § 11 (1) 3 d) TierSchG bzw. nach 12.2.2 AVV von 2000 durch den gesetzlichen Charakter dieser Bestimmungen - jedenfalls theoretisch, leider nicht in der Praxis - gesichert ist, muß eine Formulierung wie "Zusätzlich ist der Nachweis eines geeigneten Winterquartiers zu fordern" (Entwurf S. 2) entsprechend dem Unverbindlichkeitscharakter der Leitlinien wie eine Irreführung der Öffentlichkeit verstanden werden. Würde diese Empfehlung der Leitlinien durch die Genehmigungsbehörden wirklich eingehalten, dürften ca. 80 % aller Genehmigungen nach § 11 (2) TierSchG für Zirkusbetriebe nicht erteilt werden, weil in der Regel nur die größeren Unternehmen in der Lage sind, ihre Winterquartiere als Zusagen oder Besitztitel im voraus anzugeben. Andererseits weicht der Text des neuen Entwurfes an Stellen, an denen z. B. die AVV eine ganz eindeutige Pflicht zur Führung eines fälschungssicheren Tierbestandsbuches fordert (AVV 12.2.5.2 "... ist als Nebenbestimmung u.a. die Führung eines Tierbestandsbuches ... zur Auflage zu machen...") mit "kann"-Formulierungen die Strenge der gesetzeskonformen Tierschutzkontrolle auf. "Insbesondere kann angeordnet werden: 1. Die Verpflichtung zur ... Führung eines Tierbestandsbuches" ... (S.2 Mitte). So erscheinen an mehreren Stellen des neuen Textes unscharfe "kann"-Formulierungen, wo Forderungen an die Tierhalter angezeigt wären.
Durch das Zitieren ganzer Passagen des TierSchG bzw. der AVV unter "I. Rechtliche Grundlagen" wird der irreführende Eindruck erweckt, als handele es sich bei den Leitlinien um eine rechtliche Grundlage für die Haltung von Tieren in Zirkusbetrieben. Dies wird besonders deutlich, wenn der vorliegende Entwurf der Leitlinien (S.3, 2. Absatz) postuliert, für "die Beurteilung von Tierhaltungen im Zirkus ist grundsätzlich das Gutachten über die Mindestanforderungen ... ("Säugetiergutachten", BML)" von 1996 "zugrunde zu legen." Diese Aussage wäre nur korrekt, wenn es sich bei dem sogen. "Säugetiergutachten" um eine Rechtsverordnung handeln würde, wie die Tierschützer dies seit vielen Jahren fordern. Tatsächlich aber ist das Säugetiergutachten nichts anderes als was sein Name besagt: ein Gutachten, das der kontrollierende und beurteilende Amtstierarzt nach eigenem Gutdünken zugrunde legen kann oder auch nicht! Dies ist durch Rechtsauskunft des Bundesministeriums erhärtete Praxis!
Da der Leitlinienentwurf sprachlich den Eindruck erweckt, er sei eine Rechtsgrundlage zur Beurteilung der Tierhaltung in Zirkussen, dies aber tatsächlich nicht der Fall ist und auch in der AVV kein Hinweis auf die formale Anwendung der Leitlinien im Zusammenhang mit dem Vollzug des TierSchG auftaucht, muß dieser Umstand eine kontraproduktive Wirkung auf den Status der Leitlinien haben. Solange die Zirkusleitlinien weder für die Zirkusunternehmer, noch für die Vollzugsbehörden einen verbindlichen Charakter haben, aber eine 39-seitige Ansammlung von unbestimmten und undefinierten Begriffen vorlegen, kann dieses Unternehmen - abgesehen von den inhaltlich abzulehnenden Feststellungen - nur als ein Beitrag zur Aufblähung der Bürokratie bezeichnet werden.
Der Entwurf versucht gegen Ende des Abschnitts I. Rechtliche Grundlagen einen massiven Nachteil der alten Leitlinienfassung - leider untauglich - zu verbessern. Der neue Entwurf bemüht sich um eine nähere Bestimmung des unbestimmten Begriffes "Arbeit (für Tiere!)" aus der alten Fassung der Leitlinien. Bezeichnenderweise wird im neuen Entwurf aus der "Arbeit" eine "Beschäftigung", die man dann als "Ausbildung", "Training" "oder das Vorführen der Tiere in der Manege" umschreibt und mit "täglich" und "verhaltensgerecht" näher zu bestimmen versucht. Man geht sogar noch weiter und verlangt, daß die "Beschäftigung" "abwechslungsreich sein und die Tiere fordern" muß und "ein ständig wechselndes Reizspektrum" - hierzu Hinweis auf unterschiedliche Anforderungen bei unterschiedlichen Tierarten! - gewährleisten muß! Abgesehen davon, daß ein unbestimmter Begriff durch die Anreicherung mit unbestimmten Attributen nicht bestimmt wird, ja, der Begriffsumfang der "Beschäftigung" sogar durch eine inhaltliche Identifikation mit "eine positive Mensch-Tier-Beziehung" ausgedehnt wird, kommt die Frage nach der Kontrolle und Verifizierung dieser Voraussetzungen, die man zur Begründung anerkennen will, die Mindest(!)haltungsbedingungen aus dem Säugetiergutachten zu unterschreiten, überhaupt nicht in den Blick. Welcher Amtsveterinär hätte Zeit und Lust zu kontrollieren, welche Tiere in der Manege vorgeführt, mit welchen wann wie lange trainiert wird, ob dies abwechslungsreich, verhaltensgerecht und unter dem Vorliegen eines wechselnden Reizspektrums geschieht und zu welchen Tieren eine positive Mensch-Tier-Beziehung obwaltet? Entweder handelt es sich hier um eine Science Fiction, eine Verdummung der Öffentlichkeit oder eine Aufforderung an alle Zirkusunternehmer zu lügen, daß die Balken sich biegen!
Der Hinweis auf "Wirbeltiere der besonders geschützten Arten" und das Bundesartenschutzrecht ohne weiteren Kommentar kommt einer Aufforderung gleich, sich in Zirkussen vermehrt geschützten Tierarten zuzuwenden, weil Fragen des Artenschutzes nicht in den Veterinärabteilungen, sondern in den Unteren Landschaftsbehörden ressortieren und eine Kontrolle dadurch noch unwahrscheinlicher wird.
II. „Tierhaltung im Zirkus“
a) „Allgemeines“
Der neue Entwurf wiederholt einen Satz aus den alten Leitlinien, der in seiner praktischen Bedeutungslosigkeit nur der Vortäuschung einer nicht vorhandenen Rechtssicherheit dient: "Die allgemeinen auf das Tierschutzgesetz gestützten Grundsätze der Tierhaltung gelten uneingeschränkt auch für Zirkustiere." Die Grundsätze, deren Existenz hier behauptet wird, gibt es in der Vollzugs-Wirklichkeit des Tierschutzgesetzes allenfalls für Hunde und Nutztiere, nicht dagegen für Tiere, die in Zirkussen mitgeführt werden. Er ist deshalb ersatzlos zu streichen.
Die Aussagen über das Mitführen von Muttertieren sind gerade wegen der Formulierung: " ...wird grundsätzlich abgelehnt" völlig verfehlt. Was "grundsätzlich" abgelehnt wird, kann im Einzelfall akzeptabel sein. Diese "Ausnahme"betrachtung wird dann entsprechend auch mit "nur dann" eingeleitet, "wenn die Voraussetzungen... sichergestellt ist (muß heißen: sind)". Die Formulierungen in diesem Bedingungsumfeld treiben dem Zirkuserfahrenen die Zornesröte ins Gesicht, weil diese geforderten Bedingungen praktisch bei keinem umherziehenden Zirkus gegeben sind, aber hier so geredet wird, als seien sie darzustellen! Hier wäre ein klares Wort gegen jede Zucht in einem Zirkus am Platz gewesen.
Auch die Ausführungen über die Bedeutung von Außengehegen, so richtig sie sind, erwecken den irrigen Eindruck, als läge es im Ermessen der Zirkusunternehmer, solche Vorteile durch Einrichtung von Veranden etc, etc in Anspruch zu nehmen. Dabei ist es nicht nur die Armut der meisten Zirkusunternehmer, die solche Privilegien für die Tiere verhindern, die Notwendigkeit schnellen Auf- und Abbaus, sondern auch die Beschränktheit der von den jeweiligen Standplatzverpächtern oder Kommunalbehörden eingeräumten Möglichkeiten, sich an den jeweiligen Standorten auszubreiten!
Insofern ist der Satz über die "Reduzierung des Auftretens von Stereotypien" durch Außengehege zwar richtig, aber in dieser Form empörend, weil es nicht auf die Reduzierung von Symptomen der Verhaltensstörungen, sondern auf deren Vermeidung ankommt! Hier wird von den Verhaltensstörungen von Tieren im Zirkus (Zirkustiere gibt es nicht. Eine solche Formulierung ist eine tierfeindliche Denkverengung!) gesprochen, als seien sie ein unvermeidbares Schicksal. Ein Satz wie: "Es muß in jedem Zirkus genügend qualifiziertes Pflegepersonal vorhanden sein, um die ordnungsgemäße Pflege und Versorgung der Tiere zu gewährleisten." gehört nicht in eine Zirkusleitlinie, die sich an Menschen richtet, denen eine Behörde aufgrund bestimmter Qualifikationen zur Tierpflege eine Genehmigung nach § 11 (1) 3 verliehen hat.
b) „Transport“
Der Hinweis auf die arttypischen Anforderungen der Tiere an Temperatur und Frischluftzufuhr ist dringend erforderlich und wäre extensiver auszuführen! Leider fehlt hier ein vielleicht noch dringenderer Appell an ausreichende Lichtverhältnisse, da viele Tiere während der häufigen Ortswechsel und teilweise schon lange vorher und nachher in ihren Transportbehältnissen vom Zugang zur Außenwelt abgeriegelt werden.
Der Hinweis auf die Transport-Gewohnheit der Tiere wirkt zynisch, weil eine solche Bemerkung den Druck nicht von den Tieren, sondern vom Tierhalter wegnimmt!
Die akzeptablen Forderungen zu Ernährung, Klima, Spielfreier Zeit und zur tierärztlichen Betreuung der im Zirkus mitgeführten Tiere gehören ebenfalls nicht in eine Zirkusleitlinie, weil durch diese Formulierungen beim Leser der irrige Eindruck hervorgerufen wird, daß diese Forderungen von den Zirkusunternehmen auch erfüllt werden können, was in der Regel nicht zutrifft!
III. „Erziehung, Ausbildung und Training der Tiere“
Der hier folgende Text klingt besonders sympathisch und gaukelt - möglicherweise aus der Perspektive eines verantwortungsbewußten Tierlehrers verfaßt!? - die heile Welt des Dompteurs vor, der seine Tiere liebt und schont! Eine solch verlogene Passage gehört auf keinen Fall in die Zirkusleitlinien, weil sie mit dem Tier-Alltag der Zirkuswelt, so wie sie sich in den ca. 300 Kleinzirkussen, die durch deutsche und europäische Lande ziehen und im wesentlichen ihre Existenz auf das Vorhandensein von Sozialhilfe stützen, aber auch nicht das Geringste zu tun hat.
Von besonderem Interesse mag in diesem Zusammenhang die Formulierung sein, dass "elektrisierende Dressurgeräte" "abgelehnt" werden. Hier war wohl offensichtlich ein Betroffener in großen Nöten, realisieren zu müssen, daß elektrisierende "Dressur"hilfs"mittel" (sprich: Schmerz- und Qualhilfen) bei der Ausbildung von Hunden verboten sind, bei der Wildtierdressur aber nur "abgelehnt" werden sollen! Auch die Formulierung "dürfen nur selten vorkommen" im Zusammenhang mit Verhaltensmerkmalen, die als Hinweissymptome für Leid, Schmerz, Stress und Angst bei Tieren gelten müssen, verrät einen völlig falschen Beurteilungsansatz , der der Verantwortungsperspektive, wie sie in §§ 1 und 2 des TierSchG zum Ausdruck kommt, völlig entgegengesetzt ist. Dieses falsche Denken ist im Keim mit der Vorstellung verknüpft, der Mensch habe das Recht, sein Dasein mit der Veränderung, ja mit der Verbiegung des Verhaltens von Tieren zu finanzieren.
Auch die Formulierung "Grundsätzlich ist die Öffentlichkeit zu den Proben zugelassen" verrät, daß hier der Verfasser die Bodenberührung zur Zirkuswirklichkeit der ca. 300 Zirkusunternehmen in Deutschland entweder nie gehabt oder verloren hat. Soll etwa hier das Hausrecht der Zirkusunternehmer aufgehoben werden?
IV. „Verbleib von Tieren“
Auch hier zeigt sich wieder, daß die Verfasser der neuen Zirkusleitlinien sich ohne wirkliche Praxiskenntnis billigen Beifall herbeischreiben möchten: Die Forderung nach einem Nachweis für den Verbleib von Tieren wird auch von den Tierschützern erhoben, hat aber unter der politischen Perspektive der gegenwärtigen Regierung, die die Tierschutzverhältnisse außerhalb des Nutztierbereichs auf keinen Fall mit Rechtsverordnungen regeln will, keinerlei Chance! Die Tiere, die die Zirkusunternehmer mit sich führen, sind entweder Eigenbesitz oder Leihgaben in Obhut aus Privathand. Über Privatbesitz hat der Staat nach unserer Verfassung nur Verfügungsmacht aufgrund allgemeiner Gesetze. Solange Privatleute im Auftrag des Ministeriums Texte nach eigenem Gusto verfertigen können, die dann zum gefälligen Gebrauch oder Nichtgebrauch angeboten werden, ohne daß die Nichtbeachtung sanktioniert werden kann, ist die Verweigerung der Auskunft über einen eventuellen Verbleib von Tieren oder deren Todesursache die Regel.
V. „Nicht für die Haltung im Zirkus geeignete Tiere“
Ohne im einzelnen auf den Versuch der Verfasser einzugehen, sich durch Einverständnis mit der Forderung der alten Leitlinien nach einem Verzicht (!) auf Menschenaffen, Tümmler, Delfine, Greifvögel, Flamingos oder Pinguine und auf Tierarten, die sich gegen eine art- und tierschutzgemäße Haltung als resistent erwiesen haben, fortschrittlich zu geben, lehnen wir als Tierschützer das im neuen Entwurf repräsentierte Prinzip "Weiter so!" kategorisch ab. Daß die Verfasser des neuen Leitlinien-Entwurfes sich nicht haben durchringen können, außer auf Nashörner und Wölfe, auf weitere Tierarten für eine mobile Haltung in Zirkussen zu verzichten, disqualifiziert sie als Interessenvertreter der 300 kleinen Zirkusse und als Lobbyisten für die wenigen Großzirkusse, die es noch in unserem Lande gibt. Zirkusleitlinien haben die Interessen der Tiere, nicht der Tierhalter zu formulieren. Nicht die Zirkusfreunde, nicht die Tierlehrer, nicht die geselligen Wissenschaftler, die sich gerne am Rande der Manege feiern lassen, dürfen den Inhalt der Zirkusleitlinien bestimmen, sondern die Interessen der Tiere, in der weitaus größten Zahl Wildtiere, die durch den Willen irgendwelcher Menschen gemäß Eigeninteresse und nebulösen Traditionsvorstellungen aus den Weiten der Wildnis herausgerissen oder, bereits in Gefangenschaft geboren, nie - außer durch Tod! - dem zermürbenden Einerlei von Eingeladenwerden und Ausgeladenwerden und der Illusion einer Scheinfreiheit der Manege entkommen können.
Das, was der Zirkusleitlinienentwurf unter VI ("Spezielle tierärztliche Anforderungen") darbietet, liest sich wie eine Lernvorlage für solche Groß-Zirkusunternehmer, die sich noch der Sachkundeprüfung für die Erteilung einer Genehmigung nach § 11 (1) 3 TierSchG unterziehen müssen. Es kann nicht im Interesse der Tiere in den vielen Zirkussen liegen, daß in einem Kurz-Abriß "das Wichtigste über die angemessene Haltung von& zur Verfügung gestellt wird." Die Kapitel "Groß- und Kleinkatzen" (Puma, Leopard, Tiger, Löwe), "Großbären", "Robben", "Elefanten" (Afrikanischer, Asiatischer), "Pferdeartige" (Steppenzebra, Hausesel, Hauspferderassen), "Breitmaul- oder Weißes Nashorn", "Zwergflußpferd", "Giraffe(!)", "Kamele" (Trampeltier, Dromedar, Lama, Alpaka, Guanako, Vikunja), "Rinder" (Rinder, Wasserbüffel, Bisons) stellen eine einzige Selbstdarstellung und arrogante Verallgemeinerung der Interessen der Groß-Zirkusunternehmen dar. Die Interessen der Tiere werden nur so weit berücksichtigt, wie die Gesundheit und äußere Erscheinung der Tiere nicht gefährdet ist: Zitat aus "Elefanten" ( S. 17): "Jedes Tier wird mit zwei Ketten, eine am Hinterbein und eine am entgegengesetzten Vorderbein oder am Hals, angekettet. Um Druckstellen zu vermeiden, müssen die Ketten täglich wechselnd am rechten oder linken Vorder- bez. Hinterbein angebracht werden. Die Länge der Ketten muß so bemessen sein, daß der angekettete Elefant sich bequem (!) ablegen und einen (!) Schritt vor und zurück machen kann." Zu jeder Tiergruppe werden wenige Sätze zur Kontrolle der Tierhaltung gesagt und Literaturangaben gemacht.
Um eine Verfestigung überholter Zirkusvorstellungen auf der Grundlage überholter wissenschaftlicher Erkenntnisse zu vermeiden, fordern wir, die Seiten 8 bis 31 ersatzlos aus den Zirkusleitlinien zu entfernen. Die notwendigen Informationen zu den Mindesthaltungsbedingungen der Säugetiere können dem Säugetiergutachten entnommen werden. Die Vorstellung, die bereits Gegenstand der ersten Zirkusleitlinien gewesen ist, eine gelegentliche Beschäftigung mit in Gefangenschaft lebenden Tieren, wie sie gelegentlich im Zusammenhang mit Tierdarstellungen in Zirkussen veranstaltet werden, könnte Veranlassung sein, die Haltungsbedingungen der Tiere zu verschlechtern, ohne ihnen Leiden, Schmerzen oder Stress zu verursachen, ist wissenschaftlich überholt.
VI. „Anlage 1 (Stereotypien)“
Schon die Tatsache, daß die sogenannte Sachverständigengruppe, der kein einziger moderner Verhaltensforscher angehörte,. im Anhang nur zu Stereotypien als Indikatoren für Verhaltensstörungen von Tieren in Gefangenschaft Stellung nimmt, ist ein Hinweis auf den überholten Wissensstand, den der vorliegende Entwurf repräsentiert.
Was sich vernünftig und fortschrittlich liest, aber natürlich viel zu knapp geraten ist, sind die "Hinweise für die Überprüfung", eine Information, die im Hinblick darauf, daß bis zum Aussterben der heutigen Wildtiere in den Zirkussen sicherlich noch einige Jahrzehnte vergehen werden, für die Mehrzahl der Amtsveterinäre nicht ausführlich genug gefaßt werden kann. Die wenigen Sätze, die jeweils zu diesem Aspekt vorgelegt werden, entsprechen der Notwendigkeit dieser Information in keiner Weise. Diese Abschnitte sollten zusammengefaßt und erheblich erweitert werden.
VI. „Anlage 2 (Transport von Zirkustieren)“
In dieser Überschrift wird deutlich, daß die Bezeichnung "Zirkustiere" eine Denkverengung sowohl zur Voraussetzung als auch zur Folge hat: die Tiere werden durch den dem Zirkus inhärenten Transport sich selbst entfremdet.
Die Anlage zwei ist ein Auszug aus der Verordnung zum Schutz von Tieren beim Transport (BGBl. I, S. 1337), die in ihrer Anlage nicht Zirkustiere im Auge hat, sondern landwirtschaftliche Nutztiere.
Man hätte hier ein paar Worte zu den besonderen Situationen der ständig unter Ortswechsel leidenden Tiere erwarten können. Das ist wohl deshalb nicht erfolgt, weil die Transportbedingungen der Großzirkusse sich ohnehin stärker den Bedingungen der Transporte landwirtschaftlicher Nutztiere angleichen. Auch hier wieder ein Stück Handschrift der in dem sogenannten Sachverständigenausschuß vertretenen Interessen der Großzirkusse.
VII. „Anlage 3 (Erziehung und Ausbildung)“
Hier wird der Versuch gemacht, durch mehr naturphilosophische und ethologische Überlegungen die Tatsache, daß der Mensch Tieren zum Zweck seiner Unterhaltung dauerhaft seinen Willen aufzwingt und ihnen Leiden und Entbehrungen abverlangt, die er dann nur unvollkommen durch Hinwendung und Pflege wieder aufzuheben sich bemüht, zu überhöhen und zu überdecken. Die Anliegen, die dieser Anhang, Teil 3, vertritt, sind diskutabel, haben aber mit dem Schicksal der großen Mehrheit der Tiere im Zirkus wenig bis nichts zu tun. Es wird empfohlen, aus diesen Zeilen und dem angekündigten Kompendium des Vorsitzenden der sogenannten Sachverständigenkommission einen Aufsatz für eine einschlägige Zeitschrift der Zirkusfreunde zu erarbeiten. Für eine zukunftsträchtige Entwicklung moderner, möglichst tierfreier Zirkusunternehmen sind diese Überlegungen entbehrlich, für eine Zirkusleitlinie kontraproduktiv.
VIII. Zusammenfassende Würdigung des Entwurfes
Der vorliegende Entwurf einer neuen Zirkusleitlinie wird den selbstgesetzten Zielen nicht gerecht und ist im Ansatz verfehlt. Auf der überholten Vorstellung von der erfolgreichen Kompensation von Leid und Stress bei in Gefangenschaft gehaltenen Tieren durch Beschäftigung, "Erziehung" und Hinwendung basierend, vermag sich der Entwurf nicht aus der selbstgebastelten Sackgasse völlig überhöhter Vorstellungen von der gängigen Zirkuswirklichkeit zu lösen. Seine Denkrichtung ist rückwärtsgewandt und wirklichkeitsfremd. Schon seine Prämissen beruhen auf veralteten wissenschaftlichen Vorstellungen. Die Behauptung, die Erfahrungen der Überwachungsbehörden mit den alten Leitlinien seien im neuen Entwurf berücksichtigt, entspricht in keiner Weise den Tatsachen. Es muß allerdings die Frage gestellt werden, ob jeweils die Voraussetzung zur Verarbeitung von Erfahrung gegeben war. Daß die Verfasser bereit sind, bei Tieren, die "regelmäßig beschäftigt" werden, die Haltungs-Mindestbedingungen des Säugetiergutachtens um 50 % zu reduzieren, ist ein unerhörter Skandal. (Siehe Ende des 2.Absatzes, S. 1)
Die Zukunft des Zirkus liegt in der grundsätzlichen Aufgabe der Haltung und Abrichtung von Wildtieren. Dies ist sowohl ein ethisch wie ökonomisch dringend gebotener Weg, auf dem es nicht nur für die von den Strapazen und Entbehrungen befreiten Tiere, sondern auch für die sich verstärkt auf körperliche wie geistige Bedürfnisse konzentrierenden Menschen im Zirkus neue Perspektiven gibt.
Dazu ist es erforderlich, den tierfreien Zirkus als Ideal zu etablieren. Beispiele für sehr erfolgreiche Unternehmen dieser Art gibt es mittlerweile. In einer Übergangszeit bis zu dem Zeitpunkt, da alle Wildtiere aus Zirkussen verbracht oder in Zirkussen gestorben sind, sollte die Gruppe der noch in Zirkusarbeit verbleibenden Tierarten kontinuierlich verringert und restriktiv mit dem Instrument des § 11 (1) TierSchG reduziert werden.
Bis zu einem Zeitpunkt, an dem das Ideal des tierfreien Zirkus akzeptiert ist, lehnen wir generell die Haltung aller Tiere wildlebender Arten in Zirkusbetrieben ab, insbesondere der Tiere, die unter das W.A.-Abkommen fallen. Des weiteren lehnen wir die Haltung aller Tierarten ab, die nicht unter Transportbedingungen gehalten werden können.
Stellvertretend für alle Tierarten, die künftig nicht mehr in Zirkussen oder Tierschauen gehalten werden sollten, seien folgende genannt:
- Robben: keine artgerechte Haltung im Zirkus möglich; Spezialfutter notwendig
- Flußpferde: für häufigen Transport ungeeignet. Wasserbecken wäre erforderlich. Artgerechte Haltung nicht möglich
- Eisbären: keine artgerechte Haltung möglich
- Krokodile: keine artgerechte Haltung möglich
- Giraffen: für häufige Transporte ungeeignet, erforderliche Lauffläche kann nicht zur Verfügung gestellt werden
- Strauße: große Flächen für artgerechte Haltung erforderlich
- Nashörner: gefährdete Tierart, artgerechte Haltung nicht möglich. Kein Ausgleich für systembedingt beschränkte Haltungsbedingungen möglich. Keine echte Dressur möglich
- Reptilien: transportempfindlich, bedürfen stabiler Klimabedingungen
- Kamelhengste, Elephanten-Bullen, Elephantenkühe, Affen, Tiger, Löwen, Großkatzen: potentiell gefährliche Tiere. Haltungsansprüche können aus Sicherheitsgründen nicht erfüllt werden. Der vorübergehende Verbleib dieser Tiere in den jeweiligen Zirkusunternehmen unter den definierten Mindestbedingungen des Säugetiergutachtens kann als befristete Notlösung betrachtet werden.
Die Aufsichtsbehörden sollten bemüht bleiben, die jeweiligen Tiere anderweitig unterzubringen oder gravierende Haltungsverbesserungen durchzusetzen. Bei erheblichen Schmerzen und Leiden körperlicher und seelischer Art (wie z. B. Stereotypien oder Autoaggressionen, Trauern und andere schwere Gemüts- und Verhaltensstörungen) sind die davon betroffenen Tiere umgehend nach § 16a (2) TierSchG einzuziehen und tierschutzgerecht zu versorgen. Neuzugänge und Nachzuchten müssen auf rechtlich einwandfreiem Wege ebenso verhindert werden, wie der Nachweis über den Verbleib von im Tierbestandsbuch verzeichneten Tieren gefordert werden muß.
Wir weisen in diesem Zusammenhang auf die dringend notwendige Lösung des Unterbringungsproblems hin, das sowohl in Richtung auf Auffangstationen wie in Richtung auf die Einrichtung einer Unterbringungsdatenbank in Angriff genommen werden muß. Gleichzeitig ist zur Durchsetzung der Mindesthaltungsnormen bei Säugetieren analog zu der Lösung bei Hunden ein verbessertes Säugetiergutachten als Rechtsverordnung zu erlassen.
Nach einer Erhebung des Politischen Arbeitskreises für Tierrechte in Europa (PAKT) e.V. unter den Länderverwaltungen hat es sich gezeigt, daß die Einrichtung des im Tierschutzgesetz vorgesehenen bundesweiten Zirkuszentralregisters von der überwiegenden Mehrheit der Länder gewünscht und erwartet wird. Wir fordern deshalb von der Bundesregierung, den Auftrag des Gesetzes zur Einrichtung des Zentralregisters sobald wie möglich zu erfüllen.
Düsseldorf, den 26. Juni 2000
Dr. Hans Joachim Becker
1.Vorsitzender
St.Dir.a.D. Wilfrid M. Jores