Kennzeichnungspflicht für Fleisch aus betäubungsloser Schächtung
Anlässlich des in Belgien weitverbreiteten Schächtens ohne Betäubung forderte der Politische Arbeitskreis für Tierrechte in Europa - PAKT e.V. eine EU-weite Kennzeichnungspflicht für Fleisch aus betäubungsloser Schlachtung, zunächst gerichtet an einige Abgeordnete des Europäischen Parlaments.
Auf private Veranlassung betäubungslos geschächtetes Fleisch dürfte selbst nach der unbefriedigenden belgischen Rechtslage nur von Leuten verbraucht werden, die der, wenn auch irrigen, religiösen Ansicht sind, nur solches Fleisch verzehren zu dürfen (strikter Eigenverbrauch). Oft wird es aber auf dem muslimischen Markt veräußert, d.h. auch an Muslime, die auch oder ausschließlich das Fleisch vorher betäubter, wenngleich geschächteter Tiere essen (würden). Und in der "Jüdischen Allgemeinen" vom 8.9.2005 wird berichtet: "Viele Tiere, die geschächtet werden, bestehen die zusätzlichen strengen Kontrollen nicht, die nötig sind, damit Fleisch auch als koscher deklariert werden kann. Sowohl Fleisch, das diese zusätzlichen Kriterien nicht erfüllt, als auch die Hinterviertel geschlachteter Tiere - die nur schwierig koscher zu machen sind - werden an nichtjüdische Fleischereien verkauft. Die Kennzeichnung als Fleisch, das nach religiösen Vorschriften geschlachtet wurde, würde die Verbraucher darüber informieren, dass das Tier für den jüdischen Verbrauch vorgesehen war." Und: Laut Auskunft der Veterinärinspektion Lüttich an das Eupener "Grenz-Echo" (16.07.05) ist es nicht ausgeschlossen, dass betäubungslos geschächtetes Fleisch "auch auf unserem Teller landet." Gesetzlich verboten ist es nicht.
(Wie) weiß der Verbraucher an Ladentheke/Restaurant/Schnellimbiss, wenn man ihm Fleisch aus einer betäubungslosen Schlachtung (in der Regel Schächtung) verkauft? Muslime gönnen sich eine Kennzeichnung mit einem "Halal"-Stempel. Die weitaus meisten Deutschen lehnen das betäubungsloseSchächten ab, werden aber ungewollt "Mittäter". Natürlich gilt dies auch für Folgeprodukte wie der Döner.
Muslime verwenden das ganze Tier. Gläubige Juden hingegen sehen nur den vorderen Teil des Körpers als koscher an. Wohin geht aber nun der hintere Teil? In den offenen Vertrieb und Verkauf, in die weitere Verarbeitung an nichtsahnende Bürger? Also Kennzeichnung für alle Verbraucher von Fleisch aus betäubungsloser Schlachtung sowie für all die, die bewusst kein solches Fleisch essen möchten. Und zwar EU-weit.
In der Schweiz hält die Wissenschaftskommission des Nationalrats an einer Deklarationspflicht für Nahrungsmittel tierischer Herkunft fest. Dies sei zwar in der Praxis schwer umzusetzen, doch entspreche sie dem Wunsch der Konsumenten. Gleichfalls solle die Missachtung der Würde der Tiere unter Strafe gestellt werden.
Prof. Dr. Jörg Luy von der Freien Universität Berlin, Fachbereich Veterinärmedizin, schreibt dazu: "Ihre Forderung das Fleisch geschächteter Tiere für den Verbraucher kenntlich zu machen, ist plausibel und verdient Unterstützung. … Doch mehr Ethik gibt es nicht zum Nulltarif. Erst wenn es gelingt, auch bei Fleischprodukten die Prozessqualität zur kaufentscheidenden Größe aufzuwerten, wird man das Problem lösen können. Die auf einem leicht verständlichen Schema basierende Kennzeichnungspflicht, wie sie bei Eiern schon praktiziert wird, ist daher das Modell der Zukunft." (Schreiben an PAKT, 2005)
Die Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. schreibt: "Wir stimmen Ihnen (PAKT) zu, dass die Frage, ob die Tiere (betäubungslos) geschächtet wurden oder nicht, auf eine religiöse ethische Produktqualität hinweist, die nach Möglichkeit gekennzeichnet werden sollte!"
Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin teilt mit: "Die von Ihnen geforderte Kennzeichnung des Fleisches, welches von unbetäubt geschlachteten Tieren stammt, würden wir prinzipiell begrüßen. Sie war schon seinerzeit bei der Vorbereitung der Richtlinie 93/119/EG, in der Anforderungen an das tierschutzgerechte Schlachten und Töten landwirtschaftlicher Nutztiere gestellt werden, im Gespräch."
Nach der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz hatte sich auch die Bundestierärztekammer 2004 an das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, die Länderarbeitsgemeinschaft Gesundheitlicher Verbraucherschutz und den Deutschen Tierschutzbund gewandt mit dem Vorschlag, Fleisch und Fleischerzeugnisse aus betäubungsloser Schlachtung künftig zu kennzeichnen. Damit werde der Tierschutz gefördert, ohne die Religionsfreiheit einzuschränken.
Bis die tierschutzgerechte Betäubung in der EU obligatorisch ist, sollte wenigstens die Kennzeichnungspflicht für Fleisch aus betäubungsloser Schlachtung EU-weit eingeführt werden. Wobei die Elektro-Kurzzeitbetäubung von Tierschutzseite aus ein Kompromiss, ein Zugeständnis ist, eine Betäubung zweiter Wahl, da sie oft nur vorgetäuscht oder unfachmännisch ausgeführt wird.
PAKT erhielt auf sein Schreiben nachfolgende Antwort des Europaabgeordneten Dr. Horst Schnellhardt (CDU)
Sehr geehrter Herr Guhde,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 1. Dezember 2005, das Sie an verschiedene Europaabgeordnete der CDU-CSU-Gruppe gesandt haben. Als Sprecher für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit der EVP-ED-Fraktion möchte ich Ihnen, auch im Namen meiner Kollegen, antworten.
Bereits seit den 70er Jahren gewährleistet die Europäische Union (damals noch Europäische Gemeinschaft) den Schutz von Schlachttieren. Speziell der von Ihnen angesprochene Punkt der Betäubung von Schlachttieren wird bereits seit 1974 durch die Richtlinie des Rates vom 18. November 1974 über die Betäubung von Tieren vor dem Schlachten (74/577/EWG) geregelt.
Auch das Europäische Übereinkommen zum Schutz von Schlachttieren des Europarates von 1979 enthält Grundsätze und Detailbestimmungen, die das Schlachten und Töten von Tieren regeln. Nachdem alle Mitgliedstaaten das Übereinkommen ratifiziert hatten, wurde es 1988 durch den Beschluss des Rates vom 16. Mai 1988 über den Abschluss des Europäischen Übereinkommens zum Schutz von Schlachttieren (88/306/EWG) im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genehmigt.
Die Richtlinie 74/577/EWG wurde im Jahr 1993 durch die Richtlinie des Rates über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung oder Tötung (93/119/EG, Amtsblatt L340 vom 31. Dezember 1993, S. 21) ersetzt.
Diese greift die von Ihnen formulierten Forderungen auf:
"Beim Verbringen, Unterbringen, Ruhigstellen, Betäuben, Schlachten und Töten müssen die Tiere von vermeidbaren Aufregungen, Schmerzen und Leiden verschont bleiben." (Art. 3)
Außerdem wird geregelt, dass Schlachthöfe so gebaut und ausgerüstet sein müssen, dass diese Anforderung erfüllt werden kann. Das Schlachtpersonal muss entsprechend geschult und sachkundig sein. Tiere sind vor dem Schlachten entweder zu betäuben oder mit Sofortwirkung zu töten (Art. 5).
Ab 01. Januar 2006 sind diese Vorschriften für Schlachtung und Schlachthygiene in den Verordnungen
- (EG) Nr. 852/2004 des europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 über Lebensmittelhygiene
- (EG) Nr. 853/2004 des europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs und
- (EG) Nr. 854/2004 des europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs
neu zusammengefasst. Dadurch ist ein höheres Maß an Rechtsicherheit gegeben. Weitere Informationen zum 'Hygiene-Paket' sowie den vollständigen Text der Verordnungen finden Sie auf der Website:
http://europa.eu.int/comm/food/food/biosafety/hygienelegislation/index_en.htm
Auch der Aspekt der Haltung von Schlachttieren wurde durch gesetzliche Vorschriften der Europäischen Union geregelt. Am 23. Oktober 2001 beispielsweise nahm der Rat die Richtlinie 2001/88/EG zur Änderung der Richtlinie 91/630/EWG über Mindestanforderungen für den Schutz von Schweinen an.
Der von Ihnen dargestellte Zusammenhang der Qualität des Fleisches durch Haltung und Behandlung entspricht der Realität. Sie ist aber nicht in erster Linie bedingt durch die technische Ausrüstung von Ställen und Schlachtanlagen, sondern ein Ergebnis der mangelhaften Ausbildung von Betriebspersonal und dadurch entstehender Fehlern beim Umgang mit Tieren. Die von Ihnen gestellte Forderung nach einer gesetzlichen Regelung für die Auszeichnung von Fleisch, dass für den menschlichen Verzehr bestimmt ist, auf der Basis von technischen Ausrüstungen der Schlachtbetriebe und deren technologischen Ablauf erscheint deshalb fragwürdig und würde zu einem bürokratischen Mehraufwand ohne wesentlichen Effekt führen. Das heißt, eine positiv eingestufte Schlachttechnologie, wobei mir nicht klar ist, nach welchen Kriterien sie dann einstufen würden, kann bei einem unsachgemäßen Umgang mit den Tieren trotzdem eine mangelhafte Schlachtqualität hervorbringen. Theoretisch könnte nach Ihren Vorstellungen die Kennzeichnung folgendermaßen aussehen:
Tierhaltung: mangelhaft
Tiertransport: sehr gut
Schlachtung: sehr gut
Wie soll ein Verbraucher dann entscheiden, was aus dieser Kette für ihn wichtig ist. Da ich selber Verbraucher bin, lasse ich mich von der Erkenntnis leiten, die ich bei der Zubereitung des Produktes erfahre: Wenn das Produkt nicht meinen gewünschten Qualitätsanforderungen entspricht, werde ich es auch nicht wieder kaufen.
Lassen Sie also den Verbraucher die Qualität aussuchen, die er haben möchte und nicht, die er durch eine verwirrende Kennzeichnung bei unterschiedlichem Bildungsstand erzielen würde. Der Vergleich mit der Eierproduktion ist hier unpassend. Hierbei ging es ganz allein um den Schutz von Legehennen und der Verhinderung einer brutalen Ausnutzung zur Produktion. Dieses trifft aufgrund der obigen Reglungen für Haltung und Schlachtung in dem von Ihnen angesprochenen Bereich nicht zu!
Fleisch, das für den Verzehr bestimmt ist, wird in der Europäischen Union ausschließlich in zugelassenen Schlachthöfen gewonnen. Diese müssen den oben genannten Anforderungen, gerade in Hinblick auf den Schutz von Schlachttieren, vollständig entsprechen. Daher würde eine zusätzliche Auszeichnung kaum einen Nutzen für den Verbraucher bedeuten.
Weitere Informationen zum Thema Tiergesundheit und Tierschutz finden Sie auf der entsprechenden Internetseite der EU-Kommission:
http://europa.eu.int/comm/food/animal/welfare/index_de.htm
Ich hoffe, Ihnen meinen Standpunkt verdeutlicht zu haben und verbleibe mit freundlichem Gruß,
Dr. Horst Schnellhardt (MdEP)
Europäisches Parlament
Büro Dr. Horst Schnellhardt, MdEP
ASP 15 E 115
Rue Wiertz straat
B-1047 Bruxelles/Brussel
Tel.: 0032-2-284.76.18
Fax: 0032-2-284.96.18
E-Mail: hschnellhardt@europarl.eu.int
Nachfolgend können Sie einen Brief von Martina Gerlach, Wald-Michelbach, an Dr. Schnellhardt downloaden, den die Verfasserin nach Kenntnisnahme von dessen oben veröffentlichter Antwort geschrieben hat. Sie können sich dem Schreiben mit einer kurzen persönlichen Begründung anschließen und den so ergänzten Brief, mit Ihrer Adresse versehen, erneut an Dr. Schnellhardt senden. Lesen Sie auch einen entsprechenden Brief von Pastorin Ines Odaischi
, Ladenburg, an Herrn Dr. Schnellhardt.