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Tierschutz im Grundgesetz: Wie geht es weiter?

 

Nach vergeblichen Anläufen 1994, 1997, 1998 und 2000 gelang endlich die Erweiterung des Artikels 20a Grundgesetz: Neben den natürlichen Lebensgrundlagen sollen künftig auch die Tiere staatlichen "Schutz" genießen. Die Ergänzung durch die Worte "und die Tiere" ist wohlgemerkt ein Kompromiß mit der Unionsfraktion: Der ursprüngliche Entwurf der rot-grünen Koalition lautete: "Tiere werden als Mitgeschöpfe geachtet. Sie werden vor nicht artgemäßer Haltung, vermeidbaren Leiden und in ihren Lebensräumen geschützt." Von Seiten des Tierschutzes war darüber hinaus vorgeschlagen worden, die Tiere um ihrer selbst willen zu schützen, also nicht nur als Verfügungsobjekt des Menschen.

 

Warum Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz?

Der beschwichtigende Verweis auf das Tierschutzgesetz ging immer fehl, weil es als einfaches Gesetz Grundrechten wie Eigentumsrecht, Freiheit der Berufsausübung, Lehr-, Forschungs- Religions- und Kunstfreiheit untergeordnet und daher mehr oder weniger wirkungslos ist. Denn gerade in diesen Bereichen kommt es zu Konflikten mit den Lebensrechten der Tiere. Übergeordnetes Recht der Europäischen Union sowie die Handelsbestimmungen der Welthandelsorganisation haben das gleiche Ergebnis. Das Tierschutzgesetz ist jenes Gesetz, bei dem die Quote der Verfahrenseinstellungen mit 80 % über dem Gesamtdurchschnitt liegt und bei dem der Strafrahmen am wenigsten ausgeschöpft wird. Die übelste sadistische Tierquälerei wird selten härter bestraft als das Beschmieren von Hauswänden.
Grundrechte können laut Bundesverfassungsgericht nur durch "Rechtswerte mit Verfassungsrang", also nicht durch das niederrangige Tierschutzgesetz eingeschränkt werden. Daher der lange währende Einsatz, die verfassungsrechtliche Regelungslücke zu schließen und durch die ausdrückliche Verankerung des Tierschutzes als Staatszielbestimmung dem Schutz der Tiere bessere Chancen zu geben. Vom neuen Artikel 20a könnte ein zweifaches Signal ausgehen: Daß der Schutzauftrag des Staates nicht beim Menschen endet und daß die Verantwortung des Menschen nicht nur auf seinesgleichen beschränkt bleibt.

 

Folgenloses Alibi oder realer rechtspolitischer Fortschritt?

Wie schon in den Auseinandersetzungen um die Aufnahme des Tierschutzes in bisher elf Länderverfassungen ertönt auch diesmal wieder das Lamento insbesondere der Organisationen der Tierexperimentatoren ("schwarzer Freitag"), die ihre Forschungsfreiheit bedroht wähnen und mit der Abwanderung ins Ausland drohen. Hochgesteckte Erwartungen werden andererseits bei einem Teil der Tierschützer gehegt, während auf Seiten der Juristen Skepsis und Zurückhaltung vorherrschen. So wies der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes in Nordrhein-Westfalen, Johannes Nüsse, darauf hin, dass die Aufnahme des Naturschutzes in die Verfassung auf die Arbeit der ordentlichen Gerichte (im Gegensatz zur Fachgerichtsbarkeit wie beispielsweise derjenigen für Verwaltungsrechts-Streitfälle) bislang wenig Einfluss gehabt habe. In der Tat ist nicht erkenn- oder nachweisbar, dass der grundgesetzlich abgesicherte "Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" einen Durchbruch in der Naturschutzpolitik bewirkt hat, nimmt man beispielsweise die tägliche Bebauungsrate der freien Bodenfläche als realen Maßstab: Sie liegt seit Jahrzehnten ziemlich konstant bei 125 Hektar - vor und nach der Aufnahme dieses Artikels ins Grundgesetz.

Fest steht, dass das zahnlose Tierschutzgesetz ein Fundament erhalten hat, dass der Tierschutz bei der Abwägung mit den genannten Grundrechten künftig ein stärkeres Gewicht auf die Waage bringen kann. Doch die Ursachen der tagtäglichen millionenfachen Tierschinderei wie egoistischer Materialismus, Essgewohnheiten, Gewinn- und Karrierestreben werden weiterhin strukturell höchst wirksam bleiben. Und die Pharmafirmen werden ebenso wenig ins Ausland abwandern wie die in der Schweiz, wo die "Würde der Kreatur" seit 1992 Verfassungsrang hat.

Inwieweit die Grundgesetzergänzung tatsächlich Ausbeutung und Missbrauch der Tiere einschränkt, kann vorerst nur spekulativ betrachtet werden. Gut möglich ist, dass etwa die Tierversuche künftig überzeugender begründet werden müssen oder dass mittel- und längerfristig wirksamere Verwaltungsvorschriften zur Durchsetzung des Tierschutzgesetzes herauskommen, ebenso, dass die Verwaltungsgerichte strenge Maßstäbe bei den Ausnahmegenehmigungen für das Schächten zugrunde legen und darauf bestehen, dass die Antragsteller, wie vom Bundesverfassungsgericht verlangt, "substantiiert" "zwingende Vorschriften" ihrer Religionsgemein- schaften für das betäubungslose Schlachten nachweisen (was sie nicht können!).

Die Frage nach der Auswirkung der Grundgesetzverbesserung ist eine Frage der künftigen politischen Kräfteverhältnisse zwischen den Tierausbeutern und ihren Vertretern einerseits und den Kräften, die für die Rechte der Tiere eintreten, andererseits.

 

Künftige Aufgaben

Da die drei Wörter im Grundgesetz von sich aus nichts bewirken können, ist die Politik, sind die Tierschutzverbände und die Parteien gefordert, dass es zu wirklichen Verbesserungen kommt. "Das Staatsziel darf nicht nur eine verbale Luftblase sein. Uns steht noch ein harter Kampf bevor", stellte denn auch der Deutsche Tierschutzbund richtig fest. Das Staatsziel bietet die Grundlage für die nun anstehenden Aufgaben, soll es nicht zu einer Luftblase werden: Beispiel Einführung des Verbandsklagerechts für die anerkannten Tierschutzverbände analog zum bestehenden Klagerecht der Naturschutzverbände. Und ebenso selbstverständlich muss die Verankerung des Tierschutzes in der künftigen Europäischen Verfassung werden. Dafür einzutreten haben die deutschen Politiker nun eine bessere Voraussetzung als bisher. Solange der Tierschutz nicht europaweit einheitlich praktiziert wird, wird es ihn auch in Deutschland nicht geben. Nationales Tierschutzrecht ist nur anwendbar, wenn es nicht durch EU-Recht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Nationale und europäische Tierschutzgesetzgebung müssen die rechtliche Grundlage für einen wirksamen Schutz der Mitlebewesen bieten. Ebenso muss erreicht werden, dass die Verwaltungen willens und in der Lage sind, die tatsächliche Anwendung des Rechts in der Praxis zu gewährleisten.

Es geht um nichts Geringeres als um die Herstellung rechtsstaatlicher Zustände in der Mensch-Tier-Beziehung. Dies ist die große Herausforderung an die Gesellschaft: Die Neubegründung des Verhältnisses von Mensch und Tier, die Durchsetzung einer Tierethik, die den Tieren ein Recht auf Leben und Gesundheit unabhängig von ihrem Nutzwert für den Menschen zuerkennt.

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