Heimtierhaltung und Zoohandel
Anläßlich der 48. PAKT-Sitzung am 5. April 2003 zum Thema "Heimtierhaltung - Zoohandel - Tierbörsen" hat der Politische Arbeitskreis gemeinsam mit anderen Verbänden eine Bestandsaufnahme des entsprechenden Themenkomplexes Heim- und Wildtierhandel und -haltung erarbeitet. Ein Forderungskatalog am Ende des Textes listet den wichtigsten Handlungsbedarf für die zahlenmäßig zweitgrößte Gruppe von Tieren in unserer Gesellschaft auf, welche kaum weniger als die der Nutztiere zu leiden hat.
In den Industrieländern entwickelt sich die Beziehung der Menschen zu den Tieren im wesentlichen an den sogenannten Heimtieren. Heimtiere leben aber in Deutschland jenseits von Recht, Gesetz und Öffentlichkeit in der durch Artikel 13 Grundgesetz abgeschotteten Privatsphäre.
Jene domestizierten Tierrassen, wie Hunde, Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten, Mäuse und diverse Vögel wie Wellen- und Nymphensittiche, Zebrafinken und Kanarien sind für die Heimtierhaltung geeignet, was jedoch hinreichende Beratung der Halter erforderlich macht. Die Artenvielfalt im Heimtierbereich jedoch ist gegenwärtig gigantisch. Tiere aller Stämme und Arten, von der Koralle über Gliedertiere bis hin zu Fischen, Reptilien, Vögeln und Säugern, sind im Zoohandel erhältlich und verschwinden hinter den Wohnungstüren - meist auf Nimmerwiedersehen.
Eine ständig wachsende Heimtierindustrie heizt, gemeinsam mit Zoohandels- und Heimtierhalterverbänden das Bedürfnis an, immer mehr Tiere und immer exotischere Arten und Rassen anzuschaffen und zu Hause, meist zwischen Fernseher und Stereoanlage, im Hobbykeller oder auf dem Balkon unterzubringen. Die meisten dieser Tiere fristen ein erbärmliches Dasein unter völlig falschen und beengten Haltungsbedingungen, oft genug in Einzelhaft. Vernehmbar ist dieses Elend kaum, denn die betroffenen Tiere sind meist stumm oder aber, ihre Lautäußerungen werden von den zumeist nur emotional urteilenden Haltern oder Nachbarn fehlgedeutet.
Die Zahl der allein in Deutschland gehaltenen vermeintlichen "Heimtiere" wird auf mehr als 100 Millionen geschätzt, größtenteils Zierfische. Somit sind sie nach den landwirtschaftlichen "Nutztieren" die zweitgrößte unter der "Obhut" von Menschen gehaltene Tiergruppe, in ihrem Schutzbedürfnis allerdings selbst von den Tierschutzorganisationen auffällig verkannt und vernachlässigt.
Schon der Begriff "Heimtiere" bedarf der Problematisierung.
Die Bezeichnung "Heimtiere" ist unwissenschaftlich, willkürlich und anthropozentrisch, denn sie deklariert und degradiert Tiere quasi zu Gebrauchsgegenständen, so wie dies bei den Bezeichnungen "Nutztier", "Versuchstier", "Pelztier", "Zootier" und "Zirkustier" auch der Fall ist. Der Mensch bestimmt die Funktion, der das jeweilige Tier unterworfen werden soll, und formuliert danach die entsprechende Bezeichnung.
Der Umsatz mit diesen Tieren und entsprechendem Zubehör beträgt Milliarden. Ganze Industriezweige setzen z.T. völlig unsinnige und tierschutzwidrige Produkte um. Die private Haltung exotischer Säugetiere, Reptilien, Amphibien, Zierfische und Vögel hat bisher stetig zugenommen. Die EU importierte von 1990 bis 1999 1,7 Millionen geschützter Reptilien für den Heimtiermarkt.
Hinter der vermeintlichen Tierliebe der Halter steckt oft genug lediglich egozentrische Selbstliebe. Soziale Motive, der Drang, der Vereinsamung oder einer technisierten Umwelt zu entgehen, ist der sozialpsychologische Hintergrund bei einem Großteil der Halter und Züchter. Stichworte Spontankäufe; Drängen der Kinder als Kaufanlass. Und oft genug dienen die Tiere als Prestige-, Mode- und Dekorationsobjekte. Wir haben es zu tun mit einer gestörten psychisch-sozialen Komponente der "modernen" Tierhaltung, die sich z.B. in der modischen Haltung von Reptilien ausdrückt.
Die Menschen in den Industrienationen haben beträchtliche Defizite, die die einseitige, ja krankhafte Ausrichtung nach Konsum und Kommerz mit sich gebracht und tiefe Wunden im menschlichen Gemüt verursacht hat.
Dies sind: Verlangen nach Sozialverhalten infolge der zunehmenden Vereinzelung.
Verlangen nach Status und Image, infolge der allgemeinen Entwertung des Menschen als solchen und die Ausrichtung der Beurteilungskriterien auf Äußerlichkeikeiten, Leistung und Standard.
Verlangen nach Kompensation tiefer seelischer Bedürfnisse nach Macht (über ein Lebewesen) infolge von Minderwertigkeitskomplexen, nach Natur und ihrer Faszinanation (verkörpert durch exotische Tiere), nach dem Außergewöhnlichen und "Gefährlichen" (verkörpert durch Tiere mit dem Ruf, gefährlich zu sein, oder die eine andere Anatomie und Lebensweise aufweisen).
Verlangen nach Spiel, Spaß und Befriedigung; Neugierde; Ausleben gewisser "wissenschaftlicher" Neigungen; Hobbyleidenschaft und Beschäftigung für Kinder.
Da ist dann der kompetente und verantwortungsbewusste Umgang mit den Tieren oft genug nicht gegeben, und die Tiere müssen dann für die persönlichen und sozialen Unzulänglichkeiten der Halter herhalten.
Falsche Pflegeanleitungen sowie unzureichende Beratungen des umsatzorientierten Zoohandels sind ein weiteres Problem.
Dementsprechend leben die meisten Heimtiere in völliger Abhängigkeit und im Ausgeliefertsein an den Menschen unter inakzeptablen Bedingungen, und zwar ohne dass angesichts der Unverletzlichkeit der Wohnung eine öffentliche Kontrolle möglich ist. Angesichts fehlender Sensibilität und Sachkunde gibt es Verhaltensstörungen, vermeidbare Erkrankungen, Käfigneurosen, Fehlernährung, strukturlose und enge Behausungen ohne Umweltreize, unangemessene Wasserbedingungen und falsche Vergesellschaftungen in Unkenntnis der arteigenen Bedürfnisse sind häufig genug. Zwangsläufige Folge des Fehlens der natürlichen Lebensräume.
Hunderttausende Heimtiere sterben frühzeitig. Jedes dritte der (nachtaktiven!) Goldhamsterleben endet in einer vorzeitigen Tragödie. Im Tierschutzbericht des Landes Thüringen aus 1995 wurde vermerkt, dass mehr als 80 % der festgestellten Tiermisshandlungen auf Missstände in der Heimtierhaltung zurückzuführen sind; wobei die Haltung von Exoten und Wildtieren das gravierendste Problem ist.
Beispiel Zierfische:
Ein erheblicher Teil wird direkt der Natur entnommen, also ihrem arteigenen Biotop entrissen, unter Missachtung der Tier- und Naturschutzbelange in den tropischen und subtropischen Herkunftsregionen. Die Fangmethoden nehmen weder Rücksicht auf die Populationen noch auf die Lebensräume (Betäubung mit Giften, langes Leiden bei den überlebenden, jedoch geschädigten Fischen, früher Tod der meisten Wildfänge in den Sammelstationen, beim Transport und dem langen Aufenthalt im Zollabfertigungsbereich). "Es gibt kaum noch Zierfische, die wirklich gesund sind. Die Tiere sind mit Medikamenten vollgepumpt und haben teilweise eine Lebenserwartung von nur noch vier bis acht Wochen", klagt der Zierfischarzt Jan Wolter. "Mehrere hundert Millionen Zierfische pro Jahr werden von deutschen Aquarienbesitzern regelrecht verbraucht." So Dr. Sandra Altherr von Pro Wildlife. (Zitate nach: Giftattacke im Korallenriff. Des Deutschen liebstes Haustier ist der Zierfisch: 80 Millionen paddeln in den Heimaquarien. Der Spiegel, 10/2000). Die unzureichende Fachkenntnis der Endabnehmer gibt vielen Tieren schließlich den Rest. Und auch die Dumpingpreise tragen zum wenig vorhandenen Tierschutz-Interesse bei.
Zoohandel:
Der Tier- und Zoohandel ist ethisch fragwürdig, weil Bindeglied zwischen oft tierquälerischer Zucht und Haltung, dem Fang von Wildtieren und wiederum tierquälerischer Verwendung und Haltung bei den Käufern, und weil auch die mit dem Handel verbundene Unterbringung und der Weitertransport zum Besitzer mit Leiden oder Schäden verbunden sein kann. "Exoten haben im Handel nichts zu suchen", so Harald Martens vom Bundesamt für Naturschutz.
Der Handel mit Wildtieren über Zoogeschäfte, Internet, Tierbörsen und Kleinanzeigen verläuft nahezu unkontrolliert. Die Information an den Schaukästen beschränkt sich meist auf Angabe der Art und des Preises.
Der Heimtierhandel verkauft Hamster, obwohl er weiß, dass diese Tiere nicht artgerecht gehalten werden können.
Häufig sind die Haltungsbedingungen im sogenannten Fachhandel katastrophal: Haltung ohne Rückzugsmöglichkeiten in Schauvitrinen, überfüllten Käfigen, Aquarien und Terrarien. Verkauf von ungeeignetem Zubehör wie Laubfrosch- und Goldfischgläser, Hamsterröhren und -kugeln, runde Käfige, Plastikartgenossen, Fußketten für Papageien auf Ständern.
Nach wie vor dürfen Zooverkäufer Heimtiere in großer Zahl an Kunden verkaufen, ohne dass geprüft werden muss, ob die Erwerber die erforderlichen Kenntnisse im Umgang mit dem jeweiligen Tier haben.
Eine ordentliche Berufsausbildung als Zoofachhändler gibt es nicht; es genügt die kaufmännische Ausbildung.
Das Fortbildungsinteresse der meisten Zoohändler ist sehr begrenzt; nur 30 % der Handlungen gehören dem Zentralverband zoologischer Fachbetriebe e.V. an, der etliche Selbstverpflichungen eingegangen ist.
Viel Energie im Futter, wenig Platz zum Bewegen. Auf diese Formel ist das Konzept der Heimtierindustrie und des Handels zu verkürzen!
Zucht:
Heimtiere werden in großer Zahl quantitativ und qualitativ unkontrolliert gezüchtet mit züchterischen Auswüchsen wie Qual- und Überschusszüchtungen. Es gibt groteske Zuchtziele aufgrund von Geltungssucht und Streben nach Raritäten mit der Folge schwerster Formen der Tierquälerei. Es fehlen zwingende Regularien für die Heimtierzüchter.
Tierbörsen:
Besonders die Wildtierbörsen, die Wildfänge und schwer zu haltende Arten unter Flohmarktbedingungen tierschutzwidrig zur Schau stellen und anbieten, sind ein gravierender Schwachpunkt des Tier- und Artenschutzes. Anzuklagen sind u.a. kleine, ungeeignete und überfüllte Verkaufsbehältnisse, das Anbieten verletzter oder leidender Tiere, lange An- und Abtransporte, mangelhafte bis gänzlich fehlende Verkaufsberatung, Spontankäufe durch Personen, die über keine ausreichenden Sachkenntnisse verfügen, Kommerzialisierung durch Händler (s. Pro Wildlife, "Tierschutzrelevanz von Wildtierbörsen in Deutschland. Analyse eines besorgniserregenden Trends", Dokumentation 2002, zu beziehen bei Pro Wildlife e.V., Gräfelfinger Str. 65, 81375 München; www.prowildlife.de).
Zur Diskussion gestellt:
- Anstreben einer Positivliste (Erlaubnisliste) bei grundsätzlichem Handels- und Haltungsverbot von Wildtierarten, auch nachgezüchteten. In die Liste kommen nur domestizierte und teildomestizierte Tiere, verbunden mit tiergerechten Haltungsverordnungen für die aufgelisteten Tiere. (Präventivstrategie, Vorbeugung als einziger Weg, um auf Dauer Missstände zu unterbinden).
- Haltungsverordnungen. Mit Regelungen für Handel, Haltung, Zucht, Ausbildung und Registrierung von Heimtieren. Diese Verordnungen sollten die artspezifischen Bedürfnisse der als Heimtiere zugelassenen Rassen bezüglich ihrer verhaltens- und hygienegerechten Unterbringung, Pflege, Versorgung und Ernährung aufzeigen.
- Berufsausbildung/Berufsbild Zoofachhändler.
- Befähigungs-/Fachkundenachweis für die Käufer.
- Drastische Besteuerung aller Heimtiere.
- Heimtier(zucht)gesetz, um Ausbildung, Zucht, Haltung, Import und Handel mit Heimtieren wirksam zu regulieren. Dieses sollte die Rahmenbedingungen praktischer Zuchtarbeit festlegen, d.h. Zuchtstrategien/Verfahren, Kennzeichnung der Tiere, Dokumentation der Zuchtarbeit sowie Inhalte für die Sachkundenachweise. Im Vorhinein Länder-Erlasse. (Ansatz 1982: Bundesratsentwurf (nicht verabschiedet)).
- Einrichtung einer unabhängigen wissenschaftlichen Kontrollinstanz für alle Produkte der Heimtierindustrie mit Prüf- und Gütesiegel für das Heimtierzubehör.
- Pflichtmitgliedschaft im ZZF, sofern dieser tatsächlich tierschutzgemäß effektiv agiert.
- Kennzeichnungspflicht aller Heimtiere, um deren Abstammung und Herkunft zu erkennen.
- Verordnung für die Haltung von Wildtieren auf Tierbörsen, um eine Abwicklung von Tierbörsen im Einklang mit dem Tierschutzgesetz zu gewährleisten bei Ausschluss von Wildfängen und kommerziellen Händlern.
- Weitergehend: Verbot aller Tierbörsen. Vorschlag: Bildung einer Arbeitsgruppe aus Vertretern mehrerer Tierschutzorganisationen, die Vorschläge zur Regelung der Heimtierhaltung ausarbeitet und politisch befördert; insbesondere Erarbeitung einer Positivliste (mit Berücksichtigung der EU-Ebene).
Es geht nicht um die weitere Maximierung des menschlichen Nutzens am Tier, sondern umgekehrt um die Beschränkung menschlicher Freiheitsrechte zugunsten der Tiere!
Rechtsgrundlagen: Tierschutzgesetz. - Europäisches Übereinkommen zum Schutz von Heimtieren vom 13.11.1987 (Europarat). In Deutschland in Kraft getreten durch das Gesetz zum Europäischen Übereinkommen vom 01.02.1991.
Verfasser: Peter Arras, Aktion Konsequenter Tierschutz, gemeinnützige GmbH; Edgar Guhde, PAKT e.V.