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Buchtipp 23.10.2013 · Nr. 17013

Zoopolis - Bürgerrechte für Tiere

BERLIN. (hpd) Wir teilen mit ihnen nicht nur die Wohnung, sondern auch die Lebensräume der Stadt und konkurrieren um die Präsenz in Land, Meer und Himmel. Sie leben mit uns oder in eigenen Populationen. Die kanadischen Autoren Sue Donaldson und Will Kymlicka fordern daher in dem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch „Zoopolis“, den Tieren staatsbürgerliche Rechte zuzugestehen.


Wem gehört der Himmel über der Stadt? Man braucht nur an diesen sonnigen Herbsttagen den Blick über die Dächer zu richten: Da kann man sie wieder vermehrt sehen, die flatternden Bänder der Wildganszüge über Berlin. Wenn sie Pech haben, enden sie in den Windrädern draußen vor der Stadt. Wenn man Glück hat, entdeckt man gar einen kreisenden Habicht mitten überm Stadtzentrum. Ansonsten Flugzeuge im An- und Abflug. Dann und wann einen Rettungshubschrauber. Die Fledermäuse, die an warmen Sommerabenden über die Straßenschluchten taumelten, halten längst in den U-Bahn-Schächten Winterschlaf, wo die Ratten das ganze Jahr hindurch auf dem Schotter zwischen den Gleisen nach fortgeworfenen Burgerresten und Butterbrotrinden suchen.

Nur selten sind sie selbst in die Städte gezogen, meist waren sie irgendwann durch die sich ausbreitenden Urbanisationen von ihrem natürlichen Lebensraum abgeschnitten. Nun kollidieren die Interessen der Tiere mit denen der Menschen. Andere leben schon so lange meist unbemerkt in von Menschen geprägten Kulturlandschaften, dass, verschwänden diese, sie zum Aussterben verurteilt wären, wie etwa die Haselmäuse in den Heckenlandschaften.

Es gibt sie schon seit einigen Jahren: die Tunnel für die Laichzüge der Kröten oder die Treppen neben den Schleusen für die an Flussoberläufen ablaichenden Forellen. Wölfe werden gehegt und Bauern für gerissene Schafe entschädigt. Insofern kann man beobachten, dass das Nachdenken über eine Gesetzgebung meist der Praxis eher nachfolgt. Ein Stück weit ist das auch in Sachen Tierrechte der Fall. Sue Donaldsons und Will Kymlickas Überlegungen zu Bürgerrechten der Tiere sind allerdings geradezu revolutionär. Ähnlich verblüfft wie wir werden seinerzeit die Zeitgenossen Rousseaus seine Überlegungen zum Gesellschaftsvertrag gelesen haben.

Bürgerrechte für domestizierte Tiere fordern die beiden, Einwohnerrechte für Sperling, Star und Fuchs, die schon seit langem unter uns leben. Für die Tierpopulationen, deren Lebensräume sich zunehmend mit den unseren überschneiden, wie etwa die Zugvögel oder die von den immer ausgedehnteren landwirtschaftlichen Nutzflächen bedrängten Elefanten in  Afrika, nationalstaatliche Rechte entsprechend dem internationalen Recht. Es geht also um weit mehr als nur um Tierschutz oder darum, unnötiges Leiden von Tieren zu verhindern. Es geht darum, dass Tiere ein Recht haben, so zu leben, wie es ihren Interessen entspricht, als fühlende interagierende Wesen, die ihr Leben zu organisieren wissen.

Um politisches Subjekt zu sein, bedarf es, so die These der Autoren, nicht der Fähigkeit, sich über Politik informieren zu können und über sie zu diskutieren. Das geschieht auch in manchen archaischen Gemeinschaften nicht, deren Zusammenleben durch Tradition geregelt wird und durch die Alltagspraxis modifiziert. Der Kanadier Will Kymlicka ist durch die philosophische Erforschung multikultureller Gesellschaften bekannt geworden. Nun macht er die Erkundung gemischter Gesellschaften aus Mensch und Tier zu seinem Thema.

Er kommt zu dem Schluss: Nur wenn man über die Bürgerrechte von Tieren nachdenkt, wird man der Vielfalt der tatsächlich stattfindenden Interaktionen gerecht. Dann sind Tiere nicht mehr Objekt, sondern Subjekt. Und es gilt für sie selbstverständlich auch, was Kant einst mit dem kategorischen Imperativ definierte. Das Gebot, niemals einen Menschen als Mittel zum Zweck zu benutzen, wäre zu erweitern. Nie ein Tier als Mittel zum Zweck benutzen, hieße natürlich, auf die Nutztierhaltung ganz zu verzichten. Die sei zwar in früheren Zeiten für viele Völker für das Überleben unabdingbar gewesen und daher sozusagen verzeihlich, heute könnte das nur in ganz seltenen Fällen gelten. Im Buch ist daher im Idealfall von Gefährtentieren die Rede. Die würde es allerdings weiterhin geben. Denn einige Tierarten leben schon so lange unter uns, dass sie in keinen natürlichen Lebensraum mehr zurückgeführt werden könnten. Gerade wegen ihrer kommunikativen Fähigkeiten sind Wölfe zu Hunden, zu Haustieren geworden und im Übrigen wahrscheinlich einst selbst aktiv am Übergang zum Zusammenleben mit dem Menschen beteiligt gewesen.

Das Szenario der Zukunft ist gewiss gewöhnungsbedürftig. Natürlich gäbe es keine Zirkusse oder Zoos, aber auch keine Kühe auf umzäunten Weiden. Denn dass Kühe jedes Jahr kalben, um Milch zu geben, der Nachwuchs aber so schnell wie möglich von der Mutter getrennt würde, damit der Mensch die Milch abmelken könne, wäre undenkbar. Milch würde so zum Luxusprodukt werden, das man höchsten gelegentlich der frei umherschweifenden Mutter abnehmen dürfte. Hühner würden uns höchstens dann und wann einmal ein Ei überlassen.

Der Hundegefährte würde durchaus mitbestimmen dürfen, wohin der Spaziergang geht oder gar zum Leithund werden. Und warum sollte es nicht auch Schweine als Gefährtentiere geben?

Es ergeben sich eine Menge kniffliger Fragen: Was tun, wenn in einer Gegend gewohnheitsmäßig Rothirsche seltene Orchideen auf einer Wiese abfressen? Es gibt eine nicht zu kleine Ökologenfraktion, die für den Abschuss der Rothirsche plädieren würde. Nach Kymlicka und Donaldson kann aber nicht die Natur an sich Rechtssubjekt sein, täte man das, stünde dahinter wieder das Rechtssubjekt Mensch, der einen Anspruch auf eine intakte Umwelt erhebt. Die Orchideen andererseits können nicht fühlen, also auch nicht leiden. Wohl aber das Rotwild. Also müsste man die Hirsche irgendwie dazu bringen, sich andere Weidegründe zu suchen. So die Kasuistik der Autoren.

Eine Abfuhr erteilen sie auch der Tierschützerfraktion, die fordert, vor allem die Tiere in Ruhe zu lassen und diejenigen, die als ehemalige Haus- und Nutztiere unter uns leben, langsam aussterben zu lassen, indem man ihre Reproduktion unterbindet. Zu diesem mit Zwängen verbundenen Eingriff hätten wir ebenfalls kein Recht. Andererseits sei es auch nicht grundsätzlich so, dass es allen Tieren, die traditionell Gefährten des Menschen seien, schlecht gehen würde. Selbstverständlich erteilen Donaldson und Kymlicka auch der Fraktion eine Absage, die nach dem Motto der Verhältnismäßigkeit und dem Zusatzargument, dass Leben prinzipiell besser sei als Nichtleben, bis auf einige Veränderungen bei der Nutztierhaltung alles beim Alten lassen wollen.

Sicher ist: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Darauf verweisen allein die angeführten Zahlen. Seit 1980 hat sich der Fleischkonsum verdreifacht, bis 2050 würde er sich bei der derzeitigen Tendenz wahrscheinlich verdoppeln. Bereits jetzt sind drei Viertel der Gestalt der eisfreien Erdoberfläche vom Menschen beeinflusst. Wir werden also verzichten müssen. Und uns überlegen, wie wir ständig wachsende städtische Zonen mit Amsel und Star, Waschbär und Wildschwein teilen. Und schließlich durch die vielleicht eines Tages auslaufende Nutztierhaltung frei werdende Flächen wieder an die Wildtierpopulationen zurückgegeben könnten. Ich vermute, die Mongolen dürften weiter mit und von ihren freischweifenden Herden leben.

Simone Guski


Sue Donaldson, Will Kymlicka: „Zoopolis. Eine politische Theorie der Tierrechte“. Übersetzung aus dem Englischen von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag Berlin 2013, 608 S., 36 Euro.

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