Neues Säugetiergutachten - alte Missstände

Orang-Utan_Zoo_Frankfurt(c)RovdyrZoos: Neues Säugetiergutachten stößt auf Kritik

Das Bundeslandwirtschaftsministerium stellt am 7. Mai 2014 das in einem dreijährigen Sachverständigenprozess überarbeitete „Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren“ vor. Dieses so genannte Säugetiergutachten soll in der Theorie gewährleisten, dass die Haltung von Tieren in Zoos im Einklang mit dem Tierschutzgesetz ist. Nach Ansicht deutscher Tierschutzverbände, die in enger Zusammenarbeit eine gemeinsame Position auf wissenschaftlicher Grundlage erarbeitet haben, erfüllt das Gutachten diesen Zweck nur unzureichend. Zwar bringen die neuen Vorgaben im Vergleich zu der vor fast 20 Jahren erarbeiteten Vorgängerversion einige Verbesserungen. Doch die Zoovertreter, die am Gutachten mitgearbeitet haben, blockierten eine umfassende Verbesserung des Tierschutzes.

Pro Wildlife kritisiert an den neuen Haltungsvorgaben:

  • Schimpanse(c)ProWildlifeDas Gutachten ignoriert vielfach wissenschaftliche Erkenntnisse. Vorhandene Zoo-interne Haltungsempfehlungen (z.B. EAZA Husbandry Guidelines), die über die Minimalvorgaben des Gutachtens hinausgehen, wurden von den Zooverbänden nicht einmal zur Verfügung gestellt. Wirtschaftliche Interessen hatten hier eindeutig Vorrang vor dem Tierschutz.
     
  • Die Vorgaben erhalten häufig nur den Status Quo bereits vorhandener Anlagen. Trotz aller Kritik wird sich z.B. an der alles andere als verhaltensgerechten Haltung von Delfinen und Elefanten in deutschen Zoos nichts ändern.
     
  • Hinter den Forderungen der Tierschutzverbände und den Vorschriften anderer europäischer Länder bleibt das Gutachten weit zurück.
     
  • Puma(c)ProWildlifeDie Tierschützer hatten für etliche Tiere um ein Vielfaches größere Gehege gefordert, so z.B. fast doppelt so große Außengehe für Elefanten und Orang Utans sowie drei bis zehnfach größere für viele Affen-, Katzen-, Fuchsarten, Wölfe und Antilopen. Die Innengehege, in denen viele Tiere den Großteil ihres Lebens verbringen, sind oft viel zu klein.
     
  • Verhaltensstörungen, wie sich ständig wiederholende Bewegungsmuster (regelmäßig zu beobachten bei Bären, Elefanten, Menschenaffen und vielen anderen Arten) sind Ausdruck dafür, dass Tiere leiden und ihre natürlichen Verhaltensweisen in häufig viel zu kleinen und unstrukturierten Gehegen nicht ausleben können. Dies ist nicht im Einklang mit dem Tierschutzgesetz – auch die neuen Vorgaben werden solche Verhaltensstörungen nicht abstellen.
  • Duisburg_Zoo_Delfinshow(c)AkshathrajanEine Folge unzureichender Haltungsbedingungen ist, dass manchen Tieren (z.B. Delfinen und Menschenaffen) regelmäßig Medikamente und  Psychopharmaka (wie Valium) verabreicht werden. Eine weitere gut belegte Tatsache, die das neue Gutachten völlig ignoriert.
     
  • Tierquälerische Methoden, wie die stundenweise Ankettung und der Einsatz von Gewalt in der Elefantenhaltung, Einzelhaltung sozialer Arten oder die Trennung von Mutter und Kind bei hochsozialen Tieren sind auch in Zukunft nicht ausgeschlossen. Letzteres führt dazu, dass im Zoo häufig intakte Sozialstrukturen fehlen.
     
  • Elefant(c)ProWildlifeDie oft unverantwortliche Zucht- und Tötungspolitik der Zoos, bei der es in der Regel nicht um die Erhaltung und Wiederauswilderung bedrohter Arten geht, sondern oft darum, mit niedlichem Nachwuchs Besucher anzulocken, beenden die neuen Vorgaben nicht. Teils werden verschiedene Unterarten miteinander verpaart. Immer wieder schieben Zoos gesunde, angeblich „überzählige“ Tiere an drittklassige Einrichtungen ab, verkaufen sie an Tierhändler oder töten die ungewünschte Tiere. Ein solches Töten ohne „vernünftigen Grund“ verstößt laut geltender Rechtssprechung gegen das Tierschutzgesetz.
     
  • Fang, Einfuhr und Haltung von Tieren aus freier Natur ist den Zoos, trotz erheblicher Probleme aus Tier- und Naturschutzsicht, weiterhin möglich. Noch immer halten Zoos Wildfänge verschiedenster Tierarten von Fischen über Reptilien und Vögel bis hin zu Delfinen, Elefanten, Nashörnern, Giraffen und Riesenottern.
     
  • Last but not least: Die Vorgaben sind in vielen Punkten nicht nur zu schwach, sondern lediglich Empfehlungen und nicht rechtsverbindlich. Die Tierschutzverbände fordern daher, zukünftig rechtsverbindliche Vorgaben auf wissenschaftlicher Grundlage zu erarbeiten und diese regelmäßig zu überarbeiten.

>> Neues Säugetiergutachten des BMEL

>> Mindestforderungen der Tierschutzverbände